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Ibtissam Bouachrine, Assistenzprofessorin am Nahost-Institut des Smith College in Massachusetts, beschreibt in der algerischen Zeitschrift NAQD die Auswirkungen des Arabischen Frühlings auf die Geschlechterdiskurse in Nordafrika und dem Nahen Osten.

Bouachrine erinnert zunächst an die geradezu obsessive Art und Weise, wie während der Umstürze demonstrierende Frauen, vorzugsweise verschleiert, in den Mainstreammedien wie Al-Jazeera präsentiert wurden. In sozialen Netzwerken und informellen Medien offenbarte sich hingegen eine andere Facette der Geschlechterrollen während der Aufstände: Dort artikulierte sich vorwiegend der Wunsch von jungen Männern, die "ar rujula", eine Form von souveräner Männlichkeit, gegenüber einer weiblichen Autorität wiederzuerlangen.

Diese Männlichkeit wurde vor allem von den medialen Figuren der arabischen "Königinnen", von Leila Trabelsi, Suzanne Mubarak und Königin Rania von Jordanien bedroht. Während der Amtszeit ihrer Ehemänner wurden diese Frauen besonders von den westlichen Medien als fortschrittliche Modelle konstruiert, die die Verbindung von Islam mit weiblicher Emanzipation verkörperten. Dass sich die realen Personen nie für Verbesserungen von Frauen oder Gleichstellung in den jeweils betroffenen Ländern einsetzten, blieb in den glamourösen Präsentationen unerwähnt.

Von der "emanzipierten" Königin zur machtgierigen Megäre

Während der Revolten kippte das positive Bild in das frauenfeindliche Klischee der machtgierigen Megäre, die den – ihr gegenüber geradezu gutartig anmutenden – Diktator wie eine Marionette manipulierte. Auf der Basis dieser Konstruktion beschreibt Bouachrine den (dezidiert männlichen) Revolutionär als Sohn, der sich seiner Männlichkeit wieder besinnt und den feminisierten und machtlosen Vater in einem ödipalen Akt überwindet, tötet.

Das heterosexistische Geschlechterbild erweist sich dabei als fatale Konstante, die von den Diktaturen zu den postrevolutionären Gesellschaften führt. Dies wurde bereits während der gewaltsamen Auseinandersetzung deutlich: Genauso wie in den Diktaturen wurde auch während der Revolutionen sexuelle Gewalt zur Erniedrigung der jeweiligen Gegner und Gegnerinnen angewendet. Wobei die Vergewaltigung von Frauen oft als Mittel zur Bestrafung der männlichen Angehörigen eingesetzt wurde. Der weibliche Körper, das weibliche Subjekt wird seiner Eigenständigkeit beraubt, als Tauschobjekt in einer männlichen Gesellschaft instrumentalisiert. Dieser Konsens wurde auch von den Revolutionen nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil: Die vormals durch das Regime ihrer Männlichkeit beraubten Regimegegner konnten ihre männliche Herrschaft wieder stabilisieren.

Vor diesem Hintergrund steht Bouachrine den anstehenden politischen und sozialen Reformen gegenüber, die primär von Männern getragen werden, die ihre lang unterdrückte Männlichkeit wiederfinden. Sie schließt mit dem Zitat einer libyschen Feministin, die eine angekündigte Rückkehr zur Scharia folgendermaßen kommentiert: "Wir haben nicht Goliath getötet, um fortan in der Inquisition zu leben." (derStandard.at, 17.2.2012)