Entdecker und Bastler: Oskar (Thomas Horn)

Foto: Warner

Wien - Als am 11. September 2001 Attentäter zwei Verkehrsmaschinen in die Türme des New Yorker World Trade Centers steuern, da befindet sich im Gebäudekomplex auch ein gewisser Thomas Schell (Tom Hanks) - ein Juwelier, der eine Besprechung zur falschen Zeit am falschen Ort hat und diesen Ort nicht mehr lebend verlassen wird. Genau sechs Mal kann er noch kurze Botschaften auf dem Anrufbeantworter zu Hause hinterlassen. Dann bricht der Kontakt ab - seine Frau (Sandra Bullock) und sein neunjähriger Sohn Oskar (Thomas Horn) werden ihn nicht wiedersehen.

Aber Oskar, der sich das doppelt unbegreifbare Ereignis, den Tod und diese Todesursache, irgendwie begreifbar machen will, findet bei den Sachen seines Vaters einen Schlüssel und den Hinweis auf einen Namen, "Black". Über vierhundert Blacks sind im New Yorker Telefonbuch aufgelistet - einer oder eine davon muss seinen Vater doch gekannt haben und ihm, Oskar, den Weg zum Schloss, in das der Schlüssel passt, weisen können.

Extrem laut und unglaublich nah ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jonathan Safran Foer. Inszeniert hat der Brite Stephen Daldry, der sich schon in seinen früheren Arbeiten - Billy Elliot, The Hours oder zuletzt Der Vorleser - nicht eben als Mann des Hintergründigen und der leisen Töne empfohlen hat.

Letzteres darf man auch bei seinem aktuellen Film wörtlich nehmen: Unablässig wird da dringlich gefidelt und elegisch geklimpert, die Gefühlsskala hinauf- und hinuntergeorgelt und über manche Fragwürdigkeit dieser Geschichte hinweggetäuscht. Der tote Vater etwa bleibt eine bestimmende Größe ("dad said", tönt es Mantra-artig aus Oskars Off-Kommentar). Die lebende Mutter ist lange nur Stichwortgeberin. Weder scheint sie die unzähligen Blutergüsse zu bemerken, die sich ihr Kind selbst zufügt, noch dessen ausgedehnte nächtliche Abwesenheiten.

Oskar ist ein Eigenbrötler mit hohem IQ und zahllosen Phobien, ein Dauerredner, der schwer zuhört, und ein Hypermotoriker. Oskar ist ein Entdecker und Bastler. Aber seine Figur und sein ganzes exzentrisches Umfeld wirken bald nur noch konstruiert - beim Anblick von Oskars aufwändigen Verzeichnissen und Landkarten beispielsweise sieht man förmlich das Team vom Artwork-Department bei deren Herstellung.

Bei den Sachen seines Vaters hat Oskar einen analogen Fotoapparat gefunden. Er nimmt diesen mit zu den Blacks, macht ein erstes Foto und - Schnitt - schon hält er auch den Abzug in der Hand. So wenig Sensibilität der Film an dieser Stelle dafür hat, die Zeitökonomie traditionellen Bilderentwickelns von jener der Instantfotografie fein abzuheben, so grob wirkt auch vieles andere an diesem automatisch rührenden Film.  (Isabella Reicher  / DER STANDARD, Printausgabe, 17.2.2012)