Solange die Roma massiven Vorurteilen ausgesetzt sind, hat Bildung nur die Assimilation an die vorherrschende Kultur zum Ziel. Noch immer haben Roma allen Grund, ihre Herkunft im Lebenslauf zu verschweigen. Für die meisten Menschen ist "Roma" weiterhin synonym mit "genetisch bedingten Kriminellen". Vielleicht würden Bildungsinitiativen eher der Bevölkerungsmehrheit zugutekommen - Bildung als Waffe gegen rassenbasierten Nationalismus, gegen Kolonialismus, gegen Sklaverei und die Ausbeutung, auf der ein Großteil des Reichtums in Europa und Nordamerika basiert. Solche Programme hätten sicherlich eine größere Wirkung als Bildungsprogramme nur für Roma.

Wahlversprechen ohne wirkliches Engagement

Es gibt keine magische Lösung, mit der sich die Integration der Roma vorantreiben ließe. Noch immer sind sie eine der am meisten gehassten ethnischen Gruppen in Europa, obwohl seit mittlerweile zwei Jahrzehnten die Notwendigkeit von Integration betont wird. Die bisherigen Vorstöße waren zum Großteil voreilig, billig und hauptsächlich als PR-Maßnahmen konzipiert. Sie waren Wahlversprechen ohne wirkliches Engagement. Ich kenne kein einziges Programm, das auf Basis von Experten-Empfehlungen erarbeitet worden wäre und die Belange der Roma ins Zentrum stellt. Solche Programme müssten langfristig konzipiert werden, sie wären teuer und würden von kompetenten Kräften vor Ort umgesetzt werden. Das Ausbleiben der Resultate ist daher wenig überraschend. Was anders wäre von Vorschlägen zu erwarten, die von wohlmeinenden Menschen ohne relevantes Wissen erarbeitet werden?

Die EU-Kommission ist die wichtigste Institution, die sich um die Belange der zehn bis zwölf Millionen europäischen Roma kümmert. Doch auch hier herrscht ein Mangel an Expertise. Die verantwortliche Kommissarin Viviane Reding kommt aus dem einzigen EU-Staat ohne Roma: aus Luxemburg. Sie ist unerfahren, und ihr Beraterstab ist es auch. Leider ist dieser Zustand die Norm in vielen internationalen und nationalen Organisationen, die sich mit der Roma-Frage beschäftigen. Bis heute ist kein einziger Rom oder Roma-Experte in eine entsprechende Führungsposition befördert worden. Die Arbeitsweise der EU-Kommission kann man eigentlich nur als idiotisch bezeichnen: Beförderungen erfolgen generell ohne Rücksicht auf relevante Erfahrungen. Wenn die Bürokraten sich nach drei bis fünf Jahren tiefer in das Thema eingearbeitet haben, werden sie routinemäßig weiterversetzt und haben im Normalfall nichts mehr mit der Roma-Frage zu tun.

Die Ausrede, dass es keine passenden Kandidaten gebe, hält der Überprüfung nicht stand. Es gibt in Europa tausende Wissenschaftler, die sich in ihren Dissertationen mit Roma-Themen auseinandergesetzt haben; und zehntausende Experten mit Universitätsabschlüssen, die jahrelang Erfahrung in Roma-Gemeinden gesammelt haben. Viele davon sind selbst Roma.

Alle Bilder sind falsch

Ein weiteres Problem ist, dass Roma von der Gesellschaft oftmals extrem schwarz-weiß wahrgenommen werden. Entweder werden Roma als ausgenutzte Heilige porträtiert oder als genetisch bedingt kriminell diffamiert. Beide Bilder sind falsch. Solange wir Roma den Integrationsprozess nicht selber in die Hand nehmen, Ressourcen investieren und Verantwortung übernehmen, wird sich an dieser Situation nichts ändern.

Roma-Aktivisten müssen offen über Probleme sprechen: über Kinder, die zum Betteln oder zur Prostitution gezwungen wurden, über Wucher und häusliche Gewalt. Es muss zweifelsfrei deutlich werden, dass Kriminalität unter keinen Umständen akzeptabel ist und keinen Teil des Roma-Lebenswandels darstellt. Diskriminierung ist keine Entschuldigung für eigenes Fehlverhalten: weder für Verletzung von Menschenrechten durch Roma noch für eine Verweigerungshaltung in Bezug auf die Kosten der Integrationspolitik. Denn Bildung, soziale Teilhabe und aktives politisches Engagement kosten Geld und Zeit. Wenn Roma und Nicht-Roma gemeinsam vorankommen wollen, führt an diesen Investitionen kein Weg vorbei. (Valeriu Nicolae, derStandard.at, 16.2.2012)