Trauriger Blick in eine gefahrvolle Zukunft: Der Lebensraum der gerade erst entdeckten Chamäleonart Brookesia desperata ist von Abholzung bedroht.

Foto: Frank Glaw

Ein Jungtier des neuen Rekordhalters in Chamäleon-Winzigkeit: Brookesia micra.

Foto: Jörn Köhler

Seine Jungen passen mühelos auf einen Streichholzkopf, ausgewachsen misst es mit Schwanz gerade einmal 29 Millimeter: Das auf Madagaskar entdeckte Zwergchamäleon ist der neue kleinste Vertreter der Chamäleons und gehören damit auch zu den kleinsten Reptilien der Welt. Insgesamt spürte das deutsch-amerikanische Forscherteam unter Leitung von Frank Glaw von der Zoologischen Staatssammlung München auf der ostafrikanischen Insel vier neue Chamäleonarten auf. Alle vier Arten fanden sich in nur sehr kleinen Verbreitungsgebieten, das lässt den neuen Rekordhalter und seine drei Verwandten in eine gefahrvolle Zukunft blicken; durch die fortschreitende Waldrodung könnten binnen kürzester Zeit ganze Arten ausgelöscht werden.

Madagaskar ist für seine vielfältige und einzigartige Tierwelt bekannt, die nirgendwo sonst zu finden ist. Fast dreihundert Froscharten und knapp vierhundert Reptilienarten tummeln sich dort in den Regenwäldern, Bergen und Trockengebieten und bei jeder Expedition werden weitere Arten neu entdeckt. Über 40 Prozent der 193 Chamäleonarten leben ausschließlich auf dieser Insel vor der ostafrikanischen Küste. Bemerkenswert sind auch Madagaskars zahlreiche Winzlinge wie Zwergfrösche, mausgroße Halbaffen und Zwergchamäleons.

Ein deutsch-amerikanisches Biologenteam hat die vier bisher unbekannten Zwergchamäleons im Norden Madagaskars aufgespürt und in der Zeitschrift "PLoS ONE" beschrieben, darunter eine Art, die deutlich kleiner ist als alle bisher bekannten Chamäleons. Männchen von Brookesia micra haben eine Körperlänge von maximal 16 Millimeter und die Gesamtlänge beider Geschlechter ist kleiner als 29 Millimeter.

Doppelter Inseleffekt

"Dass die kleinsten Arten vieler Tiergruppen vor allem auf Inseln zu finden sind, ist kein Zufall", erklärt Frank Glaw, "sondern ein typisches Phänomen". Warum Brookesia micra so extrem klein ist, wissen die Forscher noch nicht genau, es könnte aber an einem doppelten Inseleffekt liegen, denn diese Art ist bisher nur von einer zerklüfteten, 115 Hektar kleinen Kalkfelsinsel bekannt, die wenige Kilometer vor der großen Hauptinsel liegt. Die extreme Miniaturisierung von Brookesia micra dürfte jedenfalls mit zahlreichen Anpassungen des Körperbauplans einhergehen - ein spannendes Feld für zukünftige Untersuchungen.

Alle neu entdeckten Zwergchamäleons besiedeln anscheinend sehr kleine Gebiete, die zum Teil nur wenige Quadratkilometer groß sind. "Durch Lebensraumzerstörung sind sie daher besonders bedroht", befürchtet Jörn Köhler vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt. "Eine der neuen Arten, Brookesia desperata, ist nur aus einem kleinen Regenwald bekannt und obwohl dieses Gebiet offiziell unter Schutz steht, wird hinter der Kulisse im Inneren des Reservats fleißig Raubbau betrieben".

Verzweiflung und Tristesse im Namen

Auch Brookesia tristis schaut in eine ungewisse Zukunft. Seit der Lebensraum des Chamäleons vor wenigen Jahren unter Schutz gestellt wurde, nahm die Abholzung des Gebietes noch zu - wohl auch eine Folge der gegenwärtigen politischen Instabilität im Land. Die Artnamen dieser beiden Chamäleons (desperata = verzweifelt, tristis = traurig) haben die Forscher bewusst gewählt, um auf ihre Bedrohung aufmerksam zu machen.

"Erstaunlich an den kleinen Chamäleons ist auch die große genetische Distanz zwischen den Arten, die sich auf den ersten Blick relativ stark ähneln. Das zeigt, dass sich ihre Evolutionswege bereits vor vielen Millionen Jahren getrennt haben - deutlich früher als zwischen vielen anderen Chamäleonarten", sagt Miguel Vences, von der Technischen Universität Braunschweig. "Die Gattung Brookesia ist die ursprünglichste Gruppe innerhalb der Chamäleons", ergänzt Ted Townsend von der San Diego State University, der die genetischen Untersuchungen durchgeführt hat. "Das könnte bedeuten, dass die Evolution der großen bunten Chamäleons in Madagaskar mit kleinen unscheinbaren Vorfahren startete". (red)