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"Wir sind alle unbeugsame Gallier. Europa ist derzeit ein Vulkan, Frankreich der Krater": Jean-Luc Mélenchon.

Foto: EPA/GUILLAUME HORCAJUELO

Drancy. Tiefste Banlieue, 20 Kilometer nordöstlich von Paris. Hier fuhren vor 70 Jahren die Deportationszüge mit französischen Juden nach Auschwitz ab. Heute ist die S-Bahn die einzige Verbindung zur Außenwelt. Passanten folgen den "Mélenchon"-Schildern durch das dunkle Niemandsland und durch Wohnsiedlungen.

Sie streben der Sporthalle in der Nachbargemeinde Blanc-Mesnil zu. Dort heizen Lokalpolitiker vom Front de Gauche (Linksfront) die schlotternden Besucher auf. Im Publikum recken sich Fäuste aller Hautfarben, und rote Fahnen mit Hammer und Sichel werden geschwungen, als der Star des Abends ans Rednerpult tritt.

Wie an den beiden Vorabenden in Montpellier und Villeurbanne sind Tausende gekommen, um Jean-Luc Mélenchon zu sehen. Euphorische Zwischenrufe empfangen den 60-jährigen Volkstribun. Mélenchon erzählt, wie Präsident Nicolas Sarkozy eine Volksabstimmung ansetzen möchte, um die Rechte der Arbeitslosen zu beschneiden. "Aber die Volksabstimmung über den EU-Vertrag - die hatte er unterbunden. Dabei wissen wir alle, wie die Franzosen nach der Ablehnung der EU-Verfassung 2005 gestimmt hätten." "Mit ,Non'!", ruft der vollgepferchte Saal wie aus einer Kehle zurück.

Der Ex-Sozialist, der in Umfragen auf knapp zehn Prozent der Stimmen kommt, führt aus, wie die Rechtsregierung dem Volk den Gürtel enger schnallen wolle. Darin seien sich alle vier Spitzenkandidaten, Sarkozy, Hollande, Le Pen und Bayrou, einig, meint Mélenchon, der nur von den "vier Daltons der Austerität" spricht, weil bei den Comicfiguren auch der Kleinste der Böse und der Größte der Dumme sei.

An die "Arbeiter" wendet sich Mélenchon immer wieder. So grenzt er sich bewusst vom gemäßigt-blassen Sozialisten François Hollande ab, dem Umfragen bis zu 30 Prozent geben. Aber Mélenchon verfolgt damit einen weiteren Zweck. "Die Vertreter der guten parfümierten Gesellschaft hassen das Volk, deshalb behaupten sie, alle Arbeiter seien Le-Pen-Anhänger", meint er.

Dann greift Mélenchon die rechtsextreme Front-National-Kandidatin Marine Le Pen frontal an. "Sie will allen Arbeitern 200 Euro mehr Lohn zahlen. Aber schaut nur, woher sie das Geld dafür nimmt - natürlich über eine Steuererhöhung, für die sie euch das Geld wieder aus der Tasche ziehet. Madame Le Pen, die Arbeiter pfeifen auf Sie!"

Die Linksfront will mehr als ein Geschenk. "Wir sind alle unbeugsame Gallier. Wir sind das Rot in der blau-weiß-roten Nationalfahne, wir sind die Kraft der geschlossenen Faust. Europa ist derzeit ein Vulkan, Frankreich der Krater. Es lebe die Revolution der Bürger!"

Jetzt ist Stimmung im Saal, doch Mélenchon beruhigt: "Ihr müsst mir nicht zujubeln, ich weiß, dass ihr mich liebt. Euer Leiden ist groß, vor allem das der Frauen in den Fabriken. Lasst euch nicht unterkriegen!"

Und nun bricht es aus ihm hervor: "Nieder mit der Prekarität, Tod der Prekarität!" Auf der Tribüne springt eine Immigrantin aus Afrika auf und ruft den Sitznachbarn zu: "Jawohl! Ich habe seit langem keinen Job, kein Geld mehr. Und heute hab ich den Ausweisungsbrief des Vermieters erhalten. Mé-len-chon!" Diese Stimme hat er sicher. (DER STANDARD-Printausgabe, 13.02.2012)