ModeratorIn: Wie ist das Sparpaket politisch zu bewerten? derStandard.at begrüßt den Politologen Peter Filzmaier im Chat. Wir bitten die UserInnen um Fragen.

Peter Filzmaier: Ich begrüße alle ChaterInnen und freue mich auf spannende Fragen.

meryn: Welche Partei hat sich durchgesetzt? Die SPÖ oder die ÖVP?

Peter Filzmaier: Vordergründig kann man keiner Regierungspartei pure Klientelpolitik vorwerfen. So sind beispielsweise massiv PensionistInnen betroffen, obwohl diese bei allen Wahlen der jüngeren Vergangenheit überduchschnittlich die SPÖ gewählt haben. Dasselbe gilt aber bei Beamten als wichtige Wählergruppe der ÖVP. Im Detail sieht es allerdings ein bisschen anders aus. Es hat die SPÖ eine raschere Angleichung des Pensionsalters von Männern und Frauen abgelehnt. Neben gesellschaftlichen Gründen sicher auch, weil vor allem ältere Frauen diese Partei wählen. Hier ist es im Gegenzug der ÖVP gelungen, stärkere Belastungen für Unternehmer - Körperschaftssteuer u.a. - zu verhindern.

meryn: Warum kann die ÖVP mit der Finanztransaktionssteuer, aber nicht mit Vermögenssteuern leben?

Peter Filzmaier: Die ÖVP-Postition ist bekannt: offenbar befürchtet sie weniger, dass ihnen die rund 1% Millionäre als Wählergruppe verloren gehen sondern dass es eine negative Symbolwirkung für rund ein Drittel Gutverdiener gibt. Denn in allen Wahlbefragungen ist klar, dass unabhängig von der Stimmverteilung jeweils ÖVP-Wähler ein überdurchschnittliches Einkommen haben (interessanterweise sind die zweite Partei mit einer im Schnitt relativ gutverdienenden Wählerschaft die Grünen).

dirtyoldman1: In den Umfragen liegt die ÖVP meinem Eindruck nach konstant auf Platz drei - Hat die ÖVP überhaupt noch Chancen, '13 die FPÖ zu überholen

Peter Filzmaier: Ich sage dazu dasselbe wie bei einem Standard-Chat vor rund einem Jahr: Zahlenspiele als Wahlprognose für Herbst 2013, wobei wir weder den Wahltag noch die kandidierenden Parteien kennen, halte ich für sinnlos. Z.B. hätten nach jetzigen Stand ja neue Parteien durchaus eine realistische Chance auf den Parlamentseinzug, werden jedoch in aktuellen Umfragen naturgemäß kaum berücksichtigt.

dirtyoldman1: Sie und andere Politologen gäben einer neuen politischen Kraft durchaus Chancen, in den NR einzuziehen. Warum gründet niemand eine vernünftige Partei?

Peter Filzmaier: Man braucht dafür drei Dinge. Erstens: Eine Person - oder noch besser in jedem Bundesland einen charismatischen Kommunikator. Zweitens: Strukturen und Geld. Drittens: Konkrete Themen, die sich für eine Kritik an allen etablierten Parteien eignen. Um von hinten zu beginnen: Die Themen und der Protest gegen sämtliche aktuellen Parlamentsparteien sind da. Den Ressourcenmangel könnte man evtl. durch große Medienpräsenz und auch Nutzung speziell des Internets ausgleichen. Anders als jedoch beispielsweise Fritz Dinkhauser mit dem Bürgerforum Tirol oder Ernest Kaltenegger für die KPÖ früher in Graz hat sich auf Bundesebene noch niemand entschlossen, als Person konsequent 2013 eine Kandidatur mit einer neuen oder runderneuerten Partei anzustreben.

Der Busfahrer: vor dem Sparpaket wurde die öffentliche Diskussion beherrscht von der Schuldenbremse (im Verfassungsrang).

Peter Filzmaier: Ja. Allerdings ist der Schuldenstand in Prozent und auf das Bruttoinlandsprodukt bezogen zunächst für viele eine abstrakte Zahl. Beim jetzigen Spar- und Steuerpaket sind die Bürger beziehungsweise Wähler unmittelbarer betroffen.

meryn: Wird Strache in die nächste Regierung kommen?

Peter Filzmaier: Dazu braucht er unabhängig vom konkreten Wahlergebnis und der Platzreihenfolge der Parteien einen Koalitionspartner. Die SPÖ wird das nicht sein, und Befürwortern einer solchen Koalition in der ÖVP macht er es mit Rechtsauslagen schwierig. Zusätzlich müsste er vom Bundespräsident angelobt werden. Insofern ist also eine Fortsetzung der jetzigen Koalition oder vielleicht eine Dreiervariante mit Grünen, BZÖ oder neuer Partei wahrscheinlicher. Doch was bedeutet das für nachfolgende Landtagswahlen und die übernächtste Nationalratswahl? Die FPÖ hätte da fast ein Oppositionsmonopol.

meryn: Der Nationalrat soll verkleinert werden. Ist das demokratiepolitisch bedenklich?

Peter Filzmaier: Ich halte es für eher populistisch. Wir haben jetzt schon weit weniger als ein Drittel Frauen im Nationalrat, obwohl diese die Mehrheit der Bevölkerung sind. Genauso gibt es rund 20 Prozent Wähler unter 30 Jahren, jedoch keinen Abgeordneten aus dieser Gruppe. Das würde sich bei einer Verkleinerung der Volksvertretung, in der namensgemäß möglichst alle Gruppen vertreten sein sollen, wohl nicht verbessern. Wenn die Regierung zu Recht meint, dass symbolisch auch in der Politik gespart werden soll, dann hätte sie das direkt bei der allgemeinen Parteienförderung tun können. Doch da gibt es höchstens indirekte Einsparungen in Folge von weniger Abgeordneten.

Paul Platon: Ist die Reduzierung der Nationalratsmandate nicht eine Schwächung des Kontroll- und Gesetzgebungsorgans? Wäre eine gänzliche Abschaffung des Bundesrates sinnvoller gewesen?

Peter Filzmaier: Es ist eine solche Schwächung. Jeder einzelne Abgeordnete hat bei einer geringeren Gesamtzahl bereits rechnerisch mehr Themen, mit denen er sich inhaltlich im Detail auseinander setzen soll. Damit leidet zwangsläufig die Thementiefe und somit Kontrollfähigkeit. Zum Bundesrat: man muss grundsätzlich diskutieren, ob man entweder mehr Zentralismus und damit vielleicht gar keinen Bundesarat will, oder noch mehr Föderalismus und deshalb eine Stärkung des Bundesrates. In beiden Fällen ist es aber bei Weitem nicht der wichtigste Punkt, ob es nun knapp über 60 oder knapp unter 60 Bundesräte gibt. P.S: Übrigens bedürfen Veränderungen des Bundesrates einer Verfassungsmehrheit und somit der Zustimmung von mindestens einer Oppositionspartei.

ModeratorIn: Wie realistisch ist es, dass es überhaupt zur Verkleinerung von Nationalrat und Bundesrat kommt? Zumindest die Grünen sind ja sehr skeptisch.

Peter Filzmaier: Aus dem letzgenannten Grund bin ich zumindest beim Bundesrat sehr zweifelnd. Beim Nationalrat und auch in den Landtagen sind solche Verkleinerungen, siehe das Beispiel Steiermark, offenbar wahrscheinlicher. Doch geht das für mich an anderen Hauptthemen einer Demokratiereform wie etwa Direktdemokratie und ein modifiziertes Wahlrecht vorbei.

dirtyoldman1: Warum kommen die Grünen trotz mancher Steilvorlage dieser Regierung in Umfragen nicht vom Fleck?

Peter Filzmaier: Die Grünen liegen nach meinem Wissensstand durchaus klar über dem Wahlergebnis der letzten Nationalratswahl 2008. Ihr Problem ist vielmehr, dass trotz dem einen oder anderen Prozentpunkt mehr eine Koalitionsmehrheit mit einer der jetzigen Regierungsparteien momentan nicht in Sicht ist.

dirtyoldman1: Haben die Österreicher überhaupt noch "Lust" auf Große Koalitionen?

Peter Filzmaier: Geht man nach den Daten des Regierungsvertrauens, so lautet die Antwort nein. Eine Mehrheit misstraut der gegewärtigen Regierung, wobei freilich das Vertrauen in andere Koalitionsvarianten nicht zwangsläufig größer ist. D. h. Regierungen und die Politik generell haben das Riesenproblem, dass ihr kaum Lösungskompetenz zugetraut wird. "Groß" ist die Koalition mathematisch freilich nur auf frühere Wahlergebnisse bezogen, zuletzt erreichten SPÖ und ÖVP in Summe 56% der Stimmen und die Tendenz gilt als eher sinkend.

meryn: Glauben Sie, dass das Budget noch einmal aufgeschnürt wird, um Klientelinteressen besser zu bedienen? (Pensionisten, Beamte...)

Peter Filzmaier: Ich rechne wenigstens bei den Beamten mit energischen Versuchen, das allerdings nicht unbedingt mittels lautstarkem Protest, sondern vielleicht durch geschicktes Drehen an Rädchen im Detail. Viel unsicherer ist jedoch für mich der Länderanteil, weil da ohnehin bereits Zusatzeinnahmen aus neuen Steuern zeitgleich als Einsparung verkauft werden und womöglich noch viel mehr rechnerische Kreativität droht.

rambazamba3003: Der allgemeine Tenor in der Standard-Community ist Strukturreformen durchführen statt neue Steuern einführen. Halten Sie es für realistisch, dass wir ohne neue Steuern durchkommen?

Peter Filzmaier: Neue Steuern sind ja im vorgestellten Paket schon enthalten. Doch fehlen jene Steuern, die besonders plakativ genannt wurden, etwa Erbschafts- und Schenkungssteuer. Diese werden aus meiner Sicht aber zunächst zum möglichen Wahlkampfthema, bevor inhaltlich weiter diskutiert wird.

meryn: Faymann und Spindelegger wirken sehr harmonisch. Warum treten Sie in Doppelinterviews auf und setzen nicht mehr auf Konflitk? Was ist da das Kalkül dahinter?

Peter Filzmaier: Beim präsentieren des verhandelten Pakets ging es um Regierungskommunikation. Das nicht als Kanzler und Vizekanzler zu tun, sondern als Parteichef über die nicht zuständigen Generalsekretariate bzw. Bundesgeschäftsführungen von SPÖ und ÖVP wäre schlicht kontraproduktiv gewesen und hätte der Opposition geholfen. Die berühmt-berüchtigte Profilschärfung ist eher subversiv zu bemerken, wenn beide Seiten stolz anmerken, welche angeblich grausamen Steuer- oder Sparpläne des jeweils anderen man verhindert hat.

mels gels: Wie sehr wird die Bauspar-Kürzung der SPÖ bzw. der ÖVP schaden?

Peter Filzmaier: Sorry, da muss ich passen. Ich bin überfragt, was das Wahlverhalten der Bausparer betrifft.

inaris: guten tag,herr dr. filzmaier - mir widerstrebt ein sparpaket -das zweifellos notwendig ist, bei dem vor allem ausgabenseitig viel zu wenig augenmerk gelegt wird. sind sie auch der meinung, dass ein schritt in diese richtung vor allem der vertrauensb

Peter Filzmaier: Dem wird die ÖVP zustimmen, welche ja ursprünglich sogar einen Parteivorstandsbeschluss traf, dass ausschließlich Einsparungen das Budget sanieren sollen und es keinerlei zusätzliche Steuern geben dürfe. Umgekehrt hat die SPÖ monatelang etwa eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer getrommelt. Beide Regierungsparteien sind so gesehen in der Gefahr eines Vertrauensverlustes. Die offene Frage ist, ob letztlich die gesetzliche Endfassung als kleinster gemeinsamer Nenner erscheint, oder die Regierung wenigstens beim am Freitag angekündigten Kompromiss nun Durchsetzungskraft zeigt.

Pete_Seeger: ist dieses paket wasser in die mühlen der fpö, also kann das dritte lager dieses paket für sich nutzen oder werden sie den vorteil verspielen?

Peter Filzmaier: Kurzfristig ist die FPÖ eher im Nachteil, weil die Regierung die mediale Kommunikation bestimmt und Strache & Co nur reagieren können. Längerfristig freilich kann die FPÖ damit rechnen, dass sie neue Stimmen von enttäuschten Bürgern bekommt, wenn diese die Auswirkungen des Sparens Tag für Tag spüren. Eine Schlüsselgruppe sind dabei Pensionisten, von denen es nicht nur viele gibt, sondern welche vor allem von der SPÖ zum Halten des ersten Platzes gebraucht werden. Bei der Wiener Landtagswahl etwa hat Strache überdurchschnittlich auch Zuspruch von älteren Wählern bekommen.

meryn: Erwin Pröll hat bereits angekündigt, den Bund kontrollieren zu wollen. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Länder wirklich so viel sparen, wie von ihnen verlangt wird?

Peter Filzmaier: Ich halte das für einen großen Unsicherheitsfaktor. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass SPÖ- und ÖVP-geführte Länder wirklich beim Paket dabei sind, so wie gerade Erwin Pröll und Michael Häupl in Wahrheit hinter den Kulissen doch mehr eingebunden wurden als wir wissen - welche Garantie hat die Bundesregierung, dass die FPK als Mehrheitspartei in Kärnten geschlossen auf Linie bleibt? Erste Pressemeldungen des dortigen Landeshauptmannes, der sein Land als Musterbeispiel eines Sparmeisters und Schuldenabbauers darstellte, sind gelinde gesagt sehr seltsam.

gradiscanski: Fehlt es unseren Politikern an Mut oder an Visionen?

Peter Filzmaier: Tatsächlich ist für mich die Vision, was nach dem Sparpaket Österreich ausmacht, unklar. Die Notwendigkeit ist anzuerkennen, auch dass man Kompromisse machen muss, doch für welches Ziel außer dem Ausmerzen von Fehlern in der Vergangenheit sparen wir? Privat tue ich das schließlich auch für ein Ziel, um einen Traum zu verwirklichen oder eben eine Vision anzustreben. Für das bloße Überleben ein Nulldefizit ersparen zu müssen, wäre in einem der reichsten Länder der Welt traurig.

stretfordender: Rechnen Sie damit, dass die Koalition bis zum Wahltermin 2013 hält?

Peter Filzmaier: Bis 2013 ja, ob bis zum Herbst 2013 bin ich schon weniger sicher. Denn ab dem Frühjahr 2013, beginnend in NÖ und Tirol gibt es auch wieder Landtagswahlen und da werden neue Strategiespielchen eröffnet.

ModeratorIn: derStandard.at bedankt sich bei Peter Filzmaier und den UserInnen. Auf Grund der vielen Fragen konnte leider nur ein Teil beantwortet werden. Schönen Tag noch.

Peter Filzmaier: Ich bedanke mich ebenfalls, der Chat war sehr interessant und hat auch Spaß gemacht.