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Harry Redknapp gilt als eher gemütlicher Zeitgenosse, den nicht so schnell etwas aus der Ruhe bringt. Als taktischer Avantgardist hat sich der 64-Jährige nie hervorgetan. Auch Auslands-Erfahrung fehlt ihm.

Foto: Reuters/Hackett

London - Die Spieler wollen ihn, bei den Buchmachern ist er der haushohe Favorit (Roy Hodgson und José Mourinho folgen mit großem Abstand) - doch Wunschkandidat Harry Redknapp lässt den Englischen Fußballverband (FA) zappeln. Der 64-Jährige ist der Wunschkandidat für die Nachfolge von Fabio Capello als englischer Teamchef, obwohl er in seiner Trainer-Laufbahn noch nie bei einem europäischen Topklub engagiert war und bisher nur einen Titel vorweisen kann: 2008 gewann er mit Portsmouth den FA Cup.

"Meine erste Wahl ist Harry Redknapp", ließ Nationalspieler Rio Ferdinand, der unter Redknapp für West Ham United spielte, verlauten. Wayne Rooney, der bei den ersten beiden Spielen der EM-Endrunde nach seiner Roten Karte in der Qualifikation gesperrt ist, stimmte seinem Teamkollegen von Manchester United zu und forderte: "Nehmt einen Engländer - mein Favorit ist Harry Redknapp."

Die FA bestimmte zunächst einmal Ex-Nationalspieler Stuart Pearce zum Interimstrainer für das Länderspiel am 29. Februar im Londoner Wembley-Stadion gegen Vizeweltmeister Niederlande. Doch hinter den Kulissen wird eifrig an einer schnellen Lösung gearbeitet. Diese könnte den Verband allerdings teuer kommen. Wie englische Medien berichteten, könnte eine Verpflichtung Redknapps eine Ablösesumme im zweistelligen Millionenbereich kosten. 2008 zahlte Tottenham Hotspur 6,3 Millionen Euro Ablöse an Portsmouth. Die "Daily Mail" verkündete mittlerweile zehn Millonen Pfund als Preis für Redknapp, der eine Teilzeitlösung mittlerweile ausgeschlossen hat.

Plötzliche Zurückhaltung

"Wenn es irgendwann einmal so weit ist, wird es für jeden Engländer schwierig sein, solch ein Angebot abzulehnen. Ich habe immer gesagt, dass es für jeden das Größte wäre, Trainer der Nationalmannschaft zu sein", hatte Redknapp vor einiger Zeit erklärt. Doch da war Capello noch im Amt. Nach dessen Rückzug gibt er sich weniger offensiv. "Ich habe bisher nicht darüber nachgedacht", sagte er über einen möglichen Jobwechsel. Er konzentriere sich ganz auf Tottenham, alles andere wäre unfair gegenüber seinem derzeitigen Arbeitgeber.

Und das zahlt sich für den Klub auch aus. Unter Redknapp qualifizierte sich Tottenham 2010 erstmals für die Champions League, derzeit liegen die Londoner auf Platz drei in der Premier League. Der Rückstand auf Spitzenreiter Manchester City beträgt sieben Punkte. Redknapps Trainerlaufbahn begann 1983 beim AFC Bournemouth, wo er auch seinen Sohn, den späteren Nationalspieler Jamie Redknapp, trainierte. Über West Ham United, Portsmouth, den FC Southampton und erneut Portsmouth kam der Onkel von Frank Lampard zu Tottenham. Kürzlich wurde er vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen.

Shortlist

England könnte die Europameisterschaft also auch mit einem Mann des Übergangs bestreiten. Das ist eine Möglichkeit, alle Optionen sind offen", erklärte Präsident David Bernstein. "Es gibt eine klare Präferenz für einen Engländer oder einen Briten", so Bernstein. "Im Endeffekt wollen wir aber die beste Person, es muss also nicht unbedingt ein Engländer sein."  Die FA will in den kommenden Wochen eine engere Kandidatenliste erstellen. Die nächsten Testspiele nach dem Vergleich mit den Niederlanden sind erst ab Ende Mai geplant. In der EM-Gruppenphase trifft der Weltmeister von 1966 auf Frankreich, Schweden und Gastgeber Ukraine.

Tottenham hat es Redknapp freigestellt, ein etwaiges Angebot anzunehmen. "Harry muss eine Entscheidung treffen, ob er den Job will oder bei Tottenham bleiben möchte", sagte Spurs-Direktor Keith Mills der BBC.

Nachtreten gegen Capello

Die englische Boulevardpresse zog am Donnerstag jedenfalls noch einmal über den abgetretenen Capello her. "Seine Ära kann man beschreiben als Zeit voller Konfusion, Teilnahmslosigkeit, mangelnder Kommunikation und Mittelmäßigkeit", kommentierte der "Daily Mirror". "Capello hat sich weder bemüht, die englische Sprache noch etwas über England zu lernen." Sein Gehalt von 7,2 Millionen Euro pro Jahr habe ihn interessiert - sonst nichts. "Und Tschüss, den wären wir los!", meinte der "Daily Mirror".

Die sportliche Bilanz der Mannschaft unter Capello (problemlose EM-Qualifikation ohne Niederlage in acht Spielen) ging im Geifer unter. Dabei hatte der renommierte Italiener als Nachfolger von Steve McClaren einen Scherbenhaufen vorgefunden und aufgeräumt. Capellos Aufbauarbeit wurde erstmals empfindlich gestört durch die Schlagzeilen um die Absetzung von Terry als Kapitän nach einer Affäre mit der ehemaligen Freundin von dessen Chelsea-Teamkollege Wayne Bridge im Februar 2010. Im März 2011 erhielt Terry das Amt von Capello zurück, bevor ihm die FA dieses nunmehr wieder entriss und Capello am Montag im italienischen Fernsehen seinem Unmut darüber Luft machte. (sid/red)