Vorrevolutionäre Küchengespräche: Léa Seydoux (re.) in "Les adieux à la Reine".

Foto: Carole Bethuel

 Statt auf Ausstattung und Pomp setzt das französische Historiendrama auf kluge Reduktion.

Positionen entwickeln sich im Kino im günstigsten Fall aus Perspektiven. Der Winkel, von dem aus ein Ausschnitt der Welt betrachtet wird, prägt das Bild - dieser erst lädt es mit Bedeutung auf, verleiht ihm Gewicht. In Benoit Jacquots Historienfilm Les adieux à la Reine (Leb' wohl, meine Königin), der am Donnerstagabend die 62. Berliner Filmfestspiele eröffnet hat, bestimmt die Vorleserin von Marie Antoinette (Diane Kruger) die Wahrnehmung einer zum Untergang verdammten Welt.

Wenige Tage vor Ausbruch der Französischen Revolution befinden wir uns mit ihr im Schloss Versailles; wir filtern die Ereignisse durch ihre Präsenz und hören mit ihr von Gerüchten, die in diese abgezirkelte Welt hereinwehen.

Die vom französischen Nachwuchsstar Léa Seydoux verkörperte Heldin verfügt über eine privilegierte Position, da ihr die launenhafte Königin ein hohes Maß an Vertrauen schenkt. Auch sonst ist diese Sidonie Laborde, von deren Herkunft man nichts erfährt, eine aufgeweckte, neugierige Person, sodass man trotz der eingeschränkten Perspektive des Films gut informiert bleibt und immer ein Gefühl für die umfassende Situation behält.

Les adieux à la Reine ist schon deshalb eine interessante Wahl als Eröffnungsfilm. Statt auf Ausstattung und Pomp setzt er auf die Reduktion der Mittel, ohne an filmischer Dynamik einzubüßen. Versailles wird hier zum von überpuderten Höflingen bevölkerten Warteraum der Geschichte, weltvergessen und dekadent; zu nüchternen Einschätzungen scheint allein die Dienerschaft befähigt.

Jacquot, der in seinen Filmen gerne Frauen in den Mittelpunkt rückt, arbeitet allerdings mit keinen schlichten Herr-Knecht-Oppositionen. Interessant wird dieses Drama vor allem durch die Bewunderung, die Sidonie für "ihre" Königin noch dann übrig hat, als das Volk schon deren Kopf rollen sehen will. Dass sie ihr niemals den Rücken zeigt, ist hier mehr als soziale Etikette - und so strahlt sie umso mehr, je öfter sie direkt anvisiert wird. Den Narzissmus und die Selbstsucht dieser Marie Antoinette, für die Diane Kruger eine Idealbesetzung ist, sieht man nicht sofort. Ihre Haltung wird erst deutlich, wenn sie aus ihrer Gunst ein Spiel um Lieben und Tod macht.

Respektvoller Einspruch

An eine ganz gegenwärtige Front begibt sich dagegen Werner Herzog. Seine dokumentarische TV-Serie Death Row, in Berlin als Special zu sehen, setzt sich mit Gewaltverbrechern in den USA auseinander, die zum Tode verurteilt wurde. Herzog sagt zu Beginn, er würde mit dieser Rechtsprechung auf respektvolle Weise nicht übereinstimmen - ein Satz, der ihm gleichsam das Feld für andere Aspekte öffnet, für existenziellere, grundsätzlich moralische Fragen, mit denen er dann tatsächlich immer wieder an Grenzen stößt.

Vor allem das Interview mit seinem ersten Gegenüber, einem rhetorisch raffinierten Serienmörder, wird zur mutigen Gratwanderung. Denn so teuflisch einem dieser Mensch mitunter auch erscheint, so deutlich macht Herzog, dass wir ihn nur als Teil der Gemeinschaft verstehen lernen können.  (Dominik Kamalzadeh aus Berlin  / DER STANDARD, Printausgabe, 10.2.2012)