Camila Vallejo führte 2011 in Chile die Massendemos für eine Bildungsreform an, jetzt geht es gegen das neoliberale System.

Stackls Südblick: Ausführlicher Blogeintrag über Vallejos Vorhaben

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Bei der Frage, wie es ihr dabei gehe, mit Che Guevara und Jeanne d'Arc verglichen zu werden, verfinstern sich die Züge der 23-jährigen Geografiestudentin. "Unbehagen" verursache das, sagte Camila Vallejo, 2011 die Anführerin chilenischer Massendemonstrationen für eine Bildungsreform, Mitte dieser Woche vor Journalisten im DGB-Haus in München, wo ihre Tour durch übervolle europäische Uni-Hörsäle und Gewerkschaftszentralen Station machte.

"Das ist eine Respektlosigkeit gegenüber allen anderen, die für grundlegende Veränderungen in Chile arbeiten." Die Personalisierung der Medien führe zu Oberflächlichkeit. "Deshalb sind wir hier: um zu erklären, worum es geht. Unsere Bewegung war keine spontane Explosion, sondern das Ergebnis eines langen Prozesses." Nach den vorjährigen Demos gegen das Bildungswesen gehe es nun gegen das gesamte neoliberale System, "das die Ungleichheit in Chile nicht nur aufrechterhält, sondern noch vertieft".

Bewunderung für Morales

Tatsache ist aber, dass Vallejo selbst wegen ihres Charismas für internationale Medien wie den Guardian die "Person des Jahres 2011" war. Vor wenigen Tagen sprach sich in Havanna auch Fidel Castro dafür aus, die chilenische Kommunistin im Kampf um Bildung für alle zu unterstützen.

Vom STANDARD gefragt, welches Modell ihr für Chile vorschwebe, gab sie sich bedeckt: "Solche Prozesse lassen sich nicht von einem Land auf andere übertragen." In El País meinte sie, Kuba sei wohl nicht das beste Modell, und drückte Bewunderung für Boliviens Präsident Evo Morales aus.

In einem von Studenten überrannten Saal der Münchner Uni erklärte sie nun mit zwei Mitstreitern Ursachen und Ziel ihrer "sozialen Bewegung". Obwohl die Militärdiktatur Augusto Pinochets vor mehr als zwanzig Jahren zu Ende ging, sei das damals eingeführte, extrem marktorientierte System, ob in der Bildung, im Gesundheitssystem oder im Wohnbau, noch überall gültig. Um Studieren zu können, müssten sich Jugendliche oder deren Eltern verschulden (ein Studium kostet umgerechnet bis zu 50.000 Euro).

Trotz des "Triumphalismus" der Regierung, die Chile als Vorzeigeland, als "Jaguar des Südens", darstelle, sagten 84 Prozent der Bürger, dass sie vom makroökonomischen Wachstum nichts spürten. Ähnlich hoch war die Zustimmung zur Protestbewegung. Die Popularität des Präsidenten und Multimillionärs Sebastian Piñera sank dagegen auf 23 Prozent.

Die Systemkritiker bekennen, noch wenig erreicht zu haben, weil das Bildungssystem allein nicht zu ändern sei. Deshalb hätten mit den Studenten auch deren Eltern demonstriert, Arbeiter hielten einen zweitägigen Generalstreik ab, und auch Umweltschützer schlossen sich an. Jetzt arbeite man an einem Förderungsprogramm, das eine Steuerreform, ein gerechteres Wahlgesetz und eine neue Verfassung enthalte. "Nach zwanzig Jahren ,Übergang zur Demokratie' wollen wir jetzt echte Demokratie", sagte Vallejo. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.2.2012)