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Nikolaus Brender

Foto: AP/Matthias Schrader

STANDARD: Heute schon Zeitung gelesen?

Brender: Ich hatte noch keine freie Minute. 

STANDARD:  Medienthema Nummer eins ist der Wechsel Gerhard Zeilers. Welche Lücke hinterlässt er bei RTL?

Brender: Ich habe Zeiler als jemanden kennengelernt, der für unabhängigen Journalismus steht. Ansonsten kann ich nicht für RTL sprechen.

STANDARD: Wie erleben Sie als Moderator bei einem Privatsender den journalistischen Alltag?

Brender: Darin besteht kein großer Unterschied. Die Arbeit erfolgt unter denselben professionellen Maßstäben.

STANDARD: Der Unterschied besteht dann eher in den Begehrlichkeiten der Politik?

Brender: Das sehr wohl. Es scheint, dass Parteien an Privatsendern nicht in dem Maße Interesse haben. 

STANDARD: Nach Ihrer Abwahl als ZDF-Chefredakteur soll das Verfassungsgericht Parteieinfluss zähmen. Auf Parteien ist kein Verlass?

Brender: Auf keinen Fall. Ich glaube nicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk das selbst schafft, weil der Einfluss der Parteien zu groß ist. Deshalb ist es für Deutschland so wichtig, dass sich das Verfassungsgericht damit beschäftigt und klare Richtlinien für die Unabhängigkeit herstellt. Die größte Schwäche des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist die Staatsnähe. Deshalb müsste sich der Europäische Gerichtshof damit beschäftigen, um für alle klarzulegen, dass Freiheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Sache aller europäischen Bürger ist. 

STANDARD: Auf welche Pfeiler müsste sich ein unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk stützen?

Brender: Die Aufsichtsgremien brauchen eine erhebliche Erweiterung der Bandbreite der repräsentativen Gruppen der Gesellschaft. Die Aufsichtsgremien haben Vertreter, die im vorigen Jahrhundert relevant waren. Parteien repräsentieren nicht die Wirklichkeit einer ganzen Gesellschaft. Und weil sie dies nicht tun, versuchen sie ihre Vorstellungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk umso mehr durchzudrücken. Außerdem braucht es eine wesentlich größere Transparenz der Entscheidungen und Einflussnahmen dieser Gruppen. Damit die Bürger sehen, wer wie Einfluss nimmt. Die Personalentscheidungen gehen Parteien nichts an. Sie müssen raus aus den Hinterzimmern.

STANDARD: Und so lange das nicht klar ist, müssen Journalisten protestieren?

Brender: Dafür muss der Rundfunk kämpfen. Viele der Redakteure tun das ja auch, wie beim ORF sehr eindrucksvoll zu sehen war oder in meinem Fall auch bei den Kollegen, die mich unterstützten. Doch dies allein reicht nicht aus. Parteien sind Wiederholungstäter. Wenn sie in einer Sache nicht durchkommen, warten sie eine gewisse Zeit ab. Dann gehen sie zum Tatort zurück und versuchen es aufs Neue.

STANDARD: Bundeskanzler Werner Faymann sagte, öffentlich-rechtlichen Rundfunk gebe es ohne Parteien in ganz Europa nicht. Die Idee von Unabhängigkeit scheint da nicht angekommen?

Brender: Das ist eine völlige Fehleinschätzung der Rolle der Parteien in einer Demokratie. Der Rundfunk ist für die Bürger da, aber nicht für Parteien. Die Wirklichkeitswahrnehmung der Parteien ist eine sehr eingeschränkte. In einer solchen Aussage steckt die Allmachtsfantasie der Parteien. Das darf sich am allerwenigsten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk niederschlagen. Parteien sind ein Faktor, aber nicht der bestimmende.

STANDARD: Dann sollten alle Rundfunk-Journalisten in Europa Protestvideos ins Web stellen?

Brender: Aber in jedem Land sind die Verhältnisse und die Reaktionsweisen anders. Es geht um die garantierte Unabhängigkeit der Redakteure und Programmgestalter in einem öffentlich-rechtlichen System. Um nichts anderes. In Deutschland war der Protestbrief der Redakteure ein mindestens ebenso starkes Signal. Die Abwehrreaktion übrigens nicht minder: Den Redakteuren wurde vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch klar gedroht, dass sie das nochmal auszubaden hätten. Das wichtigste ist in der Tat, dass sich die Redakteure wehren. Das machen die meisten. Es gibt aber dann noch einige, die das Klima versauen.

STANDARD: Wen meinen Sie?

Brender: Solche, die mit den Parteien kungeln. Ich nannte sie "informelle Mitarbeiter". In den Redaktionskonferenzen nannte ich sie immer IM Rotkehlchen und IM Schwarzfuß. Das hat die aber nicht einmal sonderlich gestört, weil sie sich von den Parteien geschützt fühlten. Die innere Solidarität der Redaktionen hilft dagegen sehr viel. 

STANDARD: Hat die Intervention bei Ihnen persönlich Narben hinterlassen?

Brender: Es gab Unterstützung von allen Seiten. Übrigens: Die meisten Zuschauer, die mich unterstützten, kamen aus dem liberal-konservativen Lager. Sie sahen, dass der bürgerliche Anstand verletzt wurde. Das empörte viele. Es waren einige CDU-Abgeordnete dabei, einige Parteimitglieder gaben ihr Parteibuch zurück. Es bestand eher die Gefahr, dass ich heroisiert werde. Ich tauge nicht zur Ikone. Deshalb war es für mich keine niederschmetternde Erfahrung. In der Zeit danach erfuhr ich, dass es noch etwas anderes gibt als den Beruf, dem ich mich 30 Jahre mit Haut und Haaren hingegeben habe. (Doris Priesching, DER STANDARD; Printausgabe, 9.2.2012/Langfassung)