"Ich habe nicht sehr viel Hoffnung, dass in der derzeitigen budgetären Situation der Schritt erfolgen wird, dass die Jungen mehr bezahlt bekommen. So notwendig es wäre."

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Albert Arzt gehört der Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG) an.

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Eigentlich hätte das neue Lehrerdienstrecht Ende des Jahres stehen sollen. Laut Lehrergewerkschaft wurden seit Beginn der Verhandlungen im April 2011 aber konfliktträchtige Fragen noch nicht einmal angesprochen. Als neues Zieldatum wurde der Sommer 2012 anvisiert. Die Berufsschullehrer werden in den Verhandlungen von Albert Arzt vertreten. Er fordert ein höheres Einstiegsgehalt für Junglehrer und spricht sich dagegen aus, dass Lehrer mehr Stunden arbeiten sollen als bisher: "Ich habe nicht sehr viel Hoffnung, dass in der derzeitigen budgetären Situation der Schritt erfolgen wird, dass die Jungen mehr bezahlt bekommen." Mehrarbeit sei erst dann möglich, wenn man "die Arbeitszeit entrümpelt", sprich mehr Psychologen und technisches Personal in die Schulen holt.

Über Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) sagt er: "Derzeit ist mit ihr kein schlechtes Arbeiten." Sie könne sich nicht überall "Feinde schaffen" und habe genügend andere - "auch in der eigenen Partei". Warum das Image der Lehre so negativ ist, weshalb es bei der Lehrerausbildung bessere Anrechnungsmöglichkeiten für Quereinsteiger geben sollte und warum die Grundrechnungsarten nicht nur in der Berufsschule, sondern auch in der AHS ein Problem sind, sagt Arzt im Interview mit derStandard.at.

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derStandard.at: Bei den Verhandlungen des neuen Lehrer-Dienstrechts kam es zu Verzögerungen, eine Einigung wurde nun für Mitte des Jahres versprochen. Wie ist der Stand der Verhandlungen?

Arzt: In Wahrheit geht es um ein Besoldungsrecht. Wenn die Regierung von einem neuen Dienstrecht spricht, möchte sie es eigentlich nur billiger haben. Wir als Gewerkschaft sehen, dass die jungen Lehrer relativ wenig bezahlt bekommen und die alten teuer sind. Diese Kurve hätte man schon in den 80er Jahren kippen müssen. Dann wäre das alles auch finanzierbar gewesen und schon längst überstanden. Das Bildungsbudget ist deshalb so strapaziert, weil viele ältere Leute, so wie ich es bin, im System drinnen sind. Sie kosten auch viel Geld. Das ist der Hauptbrocken, der in einem neuen Besoldungsrecht geändert gehört. Das Heben der Anfangsbezüge wird aber nicht finanzierbar sein. 

derStandard.at: Aber es wird ja auch von der Ministerin immer wieder gefordert.

Arzt: Das sind Lippenbekenntnisse. Wenn das Geld nicht reicht, dann kann man es vergessen. Wir haben mit dem Unterrichtsressort 2003 ein Schema verhandelt und auch schon Lösungen gehabt. Dann ist die Regierung geplatzt und es wurde wieder schubladisiert. Das ist das Dilemma, das wir immer wieder haben. 

derStandard.at: Das könnte auch diesmal passieren.

Arzt: Ich habe nicht sehr viel Hoffnung, dass in der derzeitigen budgetären Situation der Schritt erfolgen wird, dass die Jungen mehr bezahlt bekommen. So notwendig es wäre. Auch die andere Variante, dass die Älteren zahlen, wäre völlig ungerecht. 

Finanzministerin Fekter hat vorgeschlagen, dass die Lehrer sich den höheren Bezug selber finanzieren. Das ist keine Besoldungsreform. Sechs Stunden mehr, vier bekomme ich bezahlt: Wenn das alles ist, was ihr einfällt, das ist relativ fantasielos.

derStandard.at: Es wird also zu weiteren Verzögerungen kommen. Ist ein neues Dienstrecht in dieser Legislaturperiode realistisch? 

Arzt: Wenn man will und das Geld vorhanden ist, kann man viel machen. Derzeit habe ich das Gefühl - wir sitzen uns schon zwei Jahre lang gegenüber -, dass die Handbremsen scharf angezogen werden. Ich erwarte mir nicht sehr viel.

derStandard.at: Mehr Stunden arbeiten ist nicht drinnen?

Arzt: Unter derzeitigen Voraussetzungen finde ich es eine Zumutung. Eine Leistung in der Klasse kann ich nicht einer Arbeit am Schreibtisch gleichsetzen. Da rede ich noch gar nicht von der Vor- und Nachbereitung. Darüber könnte man reden, wenn man die Arbeitszeit entrümpelt: Was ist Lehrer-Arbeit und was nicht. Dann findet man vielleicht einen Zugang, aber nicht unter den Bedingungen, wie sie jetzt vorherrschen. Wir brauchen mehr Schulsozialarbeiter, Psychologen und auch Leute, die sich um die technische Ausstattung der Schulen kümmern. Wir brauchen auch mehr Autonomie an den Schulen. Nicht, dass ich bei jedem Schmarren bei der Dienstbehörde rückfragen muss. Die Schulen sollen selber entscheiden, wann sie eine Teilung der Klassen vornehmen. 

derStandard.at: Was bedeutet das für die Verhandlungen?

Arzt: Wenn die Lehrer billiger werden sollen, nicht besser, spielen wir da nicht mit. Dann kann ich das als Interessenvertreter nicht mittragen. Für mich geht es um das Miteinander. Die Gewerkschaft verhindert, heißt es dann. Wenn die Massenmedien drüberfahren, ist man schnell ein Betonierer. 

derStandard.at: Wie beurteilen Sie Claudia Schmied?

Arzt: Derzeit ist mit ihr kein schlechtes Arbeiten. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass sie sich nicht unbedingt eine Tortur wie 2009 antun möchte. Das ist nicht unbedingt Freundschaft zur Gewerkschaft, sondern eine Art Zweckpartnerschaft.

derStandard.at: Sie hat bemerkt, dass sie sich mit der Gewerkschaft nicht anlegen darf?

Arzt: Man kann sich nicht überall Feinde schaffen. Sie hat genug andere, auch in der eigenen Partei. Wir erwarten uns, dass die Einstiegsgehälter angehoben werden, das kann die Regierung nicht finanzieren. Damit ist das Thema wahrscheinlich gestorben. Der Dienstgeber erwartet sich, dass der Lehrer billiger wird, dem können wir unter diesen Umständen aber einfach nicht zustimmen.

derStandard.at: Sie vertreten die Lehrer in den Berufsschulen. Was unterscheidet sie von anderen Lehrern?

Arzt: Die berufliche Erfahrung. Sie kommen allesamt aus der Wirtschaft und haben Berufspraxis von mindestens drei Jahren. Beim Einstieg sind sie deutlich älter als ihre Kollegen, das durchschnittliche Eintrittsalter liegt bei 36 bis 38 Jahren. Aus diesem Grund bringen die Lehrer auch mehr Lebenserfahrung mit. Die Ausbildung zum Berufsschul-Lehrer erfolgt berufsbegleitend. 

derStandard.at: Derzeit wird die neue Pädagogen-Ausbildung diskutiert. Welche Veränderungen werden auf die Berufsschullehrer zukommen?

Arzt: Derzeit gibt es viele Diskussionen, was wirklich umgesetzt wird, muss man abwarten. Wir streben an, dass ein Berufsschullehrer auf demselben Niveau ausgebildet wird wie andere Lehrer. 

derStandard.at: Also auch eine universitäre Ausbildung?

Arzt: Letzten Endes ja, ich kann es mir nicht anders vorstellen. Wenn an den Berufsschulen "Schmalspur-Lehrer" unterwegs sind, dann fehlt die Akzeptanz. Aber es muss ein Weg gefunden werden, um fachliches Wissen auch anzurechnen. Wenn man den Facharbeitermangel bekämpfen will, muss man eine fachliche Ausbildung höher einstufen.

derStandard.at: Was sind konkret Ihre Forderungen?

Arzt: Es wird notwendig sein, dass man schaut, auf welchem Standard Lehrer in anderen Ländern ausgebildet werden. Wenn das im europäischen Vergleich auf universitärem Level stattfindet, wird sich Österreich nicht erlauben können, das nicht zu machen. 

derStandard.at: Die Lehrer-Ausbildung soll künftig also an der Uni stattfinden und nicht an der Pädagogischen Hochschule?

Arzt: Man wird auf das Wissen von beiden Institutionen zurückgreifen müssen. Die Pädagogischen Hochschulen haben im Bereich Didaktik sicher die Nase vorne, die Unis im fachwissenschaftlichen Bereich. Wenn man es schafft, dass sie das miteinander machen, hat man das beste Ergebnis. 

Und zu den Berufsschullehrern sage ich, dass wir die deutlich höhere Bewertung von beruflichem Wissen brauchen. Wenn ich heute einen Uni-Absolventen habe, der Physik studiert hat, und auf der anderen Seite jemanden, der zehn Jahre in einem Labor im Entwicklungsbereich tätig war, dann ist er dem gleichwertig. Die wissenschaftliche Aufbereitung muss man sicher noch ergänzen.

derStandard.at: Sie fordern, dass man nicht von vorne mit der Lehrer-Ausbildung anfangen muss, sondern mittendrin einsteigen kann?

Arzt: Genau. Es ist für mich ein völliger Wahnsinn, wie man mit der Zeit der jungen Menschen umgeht. Es muss Anrechnungsmöglichkeiten geben. Man vergeudet die Energie der Leute. 

derStandard.at: Warum ist das Image der Lehre so schlecht?

Arzt: Wissen zählt heute nur dann, wenn es schulisches Wissen ist. Man hat die Lehre ganz bewusst mit Beginn der 90er Jahre untergraben, durchaus vonseiten der Wirtschaft. Die Lehre wurde als Sackgasse dargestellt, im Prinzip hat man sie krankgeredet. Dabei hat es immer entsprechende Arbeitsplätze gegeben und es gab überhaupt keinen Grund, dass man sie so negativ darstellt. Die Aufstiegschancen waren immer da. Ich selber habe Tischler gelernt und habe danach maturiert. Es war vielleicht aufwendiger und mühsamer, aber mit der Berufsreifeprüfung ist hier vieles in eine positive Richtung gelenkt worden. 

derStandard.at: In Umfragen bemängeln Unternehmer aber, dass passende Lehrlinge immer schwerer zu finden seien. Die Jugendlichen würden nicht einmal die Grundrechnungsarten beherrschen.

Arzt: Das lässt sich an der Demografie erklären. Als ich 1983 als Lehrer in der Berufsschule begonnen habe, waren grob geschätzt 20 Prozent der Jugendlichen ohne Ausbildung. Das waren die klassischen Hilfsarbeiter. Und wir haben natürlich einen höheren Anteil gut begabter in den Berufsschulen gehabt. Der Trend war bei weitem nicht so stark in Richtung höhere Schulen, vor allem am Land. Heute haben wir vielleicht drei Prozent Jugendliche, die keine Berufsausbildung machen. Der Rest ist in den Berufsschulen und ein nicht unerheblicher Teil ist in Richtung schulische Ausbildung gegangen. Man hat ja systematisch über die politische Schiene vermittelt, dass wir eine höhere Akademikerquote brauchen. Im Anzug arbeiten ist schöner, als wenn ich ein Arbeitsgewand trage.

derStandard.at: Was können und müssen Berufsschulen ausgleichen, was in Pflichtschulen verabsäumt wurde?

Arzt: Wenn Sie sagen, die Grundrechenarten sind ein Problem, schauen Sie bitte in die AHS. Dort ist es dasselbe. Wir haben in den Berufsschulen sehr viele gute Jugendliche. Die sind spitze. Natürlich gibt es einen höheren Anteil an schwächeren Schülern, die früher keine Ausbildung gemacht hätten. Schulen müssen heute das ausgleichen, was die Gesellschaft nicht mehr schafft, nicht nur Pflichtschulen. Das wird immer mehr. Je weniger Zeit die Eltern haben, dass sie die Kinder begleiten, umso mehr bleibt für die Institution Schule über. 

In der Berufsschule sind natürlich nicht die überversorgten Kinder. Sie sind durch die Bank auf eigene Füße gestellt. Zum Teil ist es erschütternd, wie wenig von den eigenen Eltern in die Kinder investiert wurde. In Ballungszentren gibt es Viertel, da haben die Eltern über Jahre, Jahrzehnte keine regelmäßige Arbeit gehabt. Wie soll der Jugendliche dann wissen, was Pünktlichkeit ist? (derStandard.at, 8.2.2012)