Bild nicht mehr verfügbar.

Bernhard Russi...

Foto: APA/EPA/Della Bella

Bild nicht mehr verfügbar.

...mit dem genauen Blick auf der Strecke in Sotschi.

Foto: APA/EPA/Della Bella

Wien - Bernhard Russi hat nichts ausgelassen. Neben zehn Weltcupsiegen krönte sich der Schweizer 1970 in Gröden zum Abfahrtsweltmeister und gewann bei den Olympischen Spielen 1972 in Sapporo Abfahrtsgold. Dem alpinen Skisport ist Russi auch nach Beendigung seiner Sportkarriere erhalten geblieben: Neben seiner journalistischen Tätigkeit ist er als Streckenplaner im Einsatz. Am Samstag wird die von ihm konzipierte Abfahrt für die Winterspiele 2014 in Sotschi im Weltcup eingeweiht. Auch darüber sprach er mit Philip Bauer.

derStandard.at: Sie wurden 1972 in Sapporo Olympiasieger, Ihr Konkurrent Karl Schranz ausgeschlossen. Schranz spricht von einer "Ungerechtigkeit". War dem tatsächlich so?

Bernhard Russi: Ja, das würde ich auch so sehen. Mich selbst hat das Ganze aber wenig berührt. Ich kann mich noch an den Moment erinnern, als uns die Mitteilung erreichte. Wir gingen einfach zur Tagesordnung über, als ob sich einer am Knie verletzt hätte.

derStandard.at: Man liest, dass es auch gegen Sie und Gustav Thöni Untersuchungen gegeben habe. Stimmt das?

Russi: Das kann sein, aber ich weiß es nicht. Ich denke, der ganze alpine Rennsport war damals in einer kritischen Situation. Wir waren ja Professionelle. In der Schweiz flossen aber alle Gelder über den Verband, wir waren dessen Angestellte. Es gab keine zusätzlichen Einnahmen und keine Fremdwerbung. Das wurde vom IOC akzeptiert.

derStandard.at: Sie würden Ihren damaligen Status also nicht als "Amateur" definieren?

Russi: Nein, für meinen Begriff nicht. Ich habe als Skirennfahrer Geld verdient und hatte auch keine andere Arbeit. Skifahren war mein Beruf. Aber es gab eben die genannten Möglichkeiten, um dies mit den IOC-Regeln in Vereinbarung zu bringen. Anscheinend war das rechtens.

derStandard.at: Hätten Sie die Piste von Sapporo auch so gebaut, wie sie sich damals präsentierte?

Russi: Ich habe die Strecke 25 Jahre später noch einmal besichtigt, da war alles wieder Urwald. Ich habe mir Gedanken gemacht, und ja, ich hätte sie so ähnlich konzipiert.

derStandard.at: Wo lag im Olympiaort Sotschi die Herausforderung für den Streckenplaner? Umweltschützer hatten große Bedenken ...

Russi: In der Auswahl, ich hatte viel Gelände zur Verfügung. Es galt, die bereits offenen Stellen des Gebietes miteinander zu verbinden. Ich versuche am Berg so wenig wie möglich zu verändern, das ist mein größtes Ziel. Jeder Eingriff bedeutet eine Narbe. Zudem kann man auf diesem Weg die Kosten minimieren und die Attraktivität des natürlichen Geländes bewahren.

derStandard.at: Sie sangen einst "Winter isch kei Winter ohni Schnee". Wie schneesicher ist Sotschi?

Russi: Es gab im letzten Jahr ein wenig Aufregung, weil im unteren Teil zu wenig Schnee lag. Generell gilt aber: eher zu viel Schnee als zu wenig.

derStandard.at: Gibt es eine ähnlich charakteristische Stelle wie damals in Vail mit der "Rattlesnake"?

Russi: Nein, ich habe nichts Künstliches gebaut. Ich habe versucht, das Gelände so zu nehmen, wie es ist. Die wahren Schlüsselstellen in Sotschi werden sich erst mit der Kurssetzung herauskristallisieren.

derStandard.at: Was lernt man als Streckendesigner dazu?

Russi: Einiges würde ich heute vielleicht nicht grundsätzlich anders machen, aber doch in einer anderen Form. Die von Ihnen angesprochene "Rattlesnake" von Vail würde ich wieder bauen, aber viel professioneller, als echte Halfpipe. Die Steilkurven wären noch perfekter, die Radien noch besser, wir haben das Wissen und die Maschinen dazu. Damals hatten wir vor allem die Idee.

derStandard.at: Was macht eine gute Rennstrecke aus?

Russi: Der Fahrer muss der entscheidende Faktor sein, und nicht das Material oder die äußeren Einflüsse. Die Rennen sollen schwer sein. Aber die Strecke macht nur 50 Prozent aus, der Rest entscheidet sich durch Präparierung und Kurssetzung. Faktoren, auf die ich keinen Einfluss mehr habe.

derStandard.at: Wann haben Sie gute Arbeit geleistet? Ist positives Feedback von Athleten und Trainern ein Indiz?

Russi: Wenn ich von allen ein positives Feedback bekomme, muss ich über die Bücher, dann kann etwas nicht stimmen. Ich denke, das Resultat sieht man erst, wenn das erste Rennen läuft. Einige Fahrer sind sehr kritisch, ich weiß, auf welche ich hören muss. Die Namen bleiben aber mein Geheimnis.

derStandard.at: Sind Sie vor den ersten Rennen auf Ihren Strecken nervös?

Russi: Ja. Ich habe eine klare Vorstellung und hoffe, dass das Rennen meiner Vision entspricht. Außerdem bleibt eine gewisse Restangst. Die hatte ich in diesem Sport aber schon immer.

derStandard.at: Also die Angst, dass ein Sportler auf Ihrer Strecke schwer zu Sturz kommt?

Russi: Genau. Aber nicht nur auf meinen Strecken. Auch in Kitzbühel habe ich diese Angst. Früher sprach ich von Respekt, das war aber nur ein Selbstschutz.

derStandard.at: Fühlen Sie sich verantwortlich, wenn auf Ihrer Strecke ein Unfall passiert?

Russi: Nein, ich würde mich nie verantwortlich fühlen. Ich war selber Skifahrer. Wenn ein Skifahrer zu Sturz kommt, ist es, abgesehen von Materialproblemen, immer sein Fehler. Jeder muss wissen, was er tun will und kann. Jeder Fahrer kann die Situation einschätzen und weiß, was passieren könnte. Da bin ich ein gewisser Hardliner. Aber es gibt sicher Leute, die mich oder den Kurssetzer als Verantwortliche sehen wollen.

derStandard.at: Aber die Sportler stehen doch unter einem gewissen Druck?

Russi: Unter welchem?

derStandard.at: Ein Abfahrer könnte wohl kaum auf einen Start verzichten.

Russi: Zwischen Fahren und Nichtfahren gibt es ja Nuancen. Wenn einer heil ins Ziel kommen will, muss er vorher ein paar heikle Stellen überwinden. Ein Formel-1-Fahrer kann auch nicht Vollgas durch die Schikane fahren. Wie viel er bremst, wie viel er bremsen will und muss, ist seine Entscheidung.

derStandard.at: "Je schwieriger die Piste, desto sicherer ist sie", haben Sie einst gesagt, die Sportler seien aufgrund der Herausforderung konzentrierter. Warum passieren dann in Kitzbühel die schlimmsten Unfälle?

Russi: Ich würde es nicht so dramatisch sehen. Wir hatten in Kitzbühel großes Pech. Die Stürze von Hans Grugger, Scott Macartney oder Daniel Albrecht können auf jeder Strecke jederzeit passieren. Wäre Kitzbühel noch schwieriger, hätte es diese Stürze nicht gegeben. Albrecht ist gestürzt, weil der Zielhang zu leicht war, er ist in voller Hocke auf den Sprung zugefahren.

derStandard.at: Da gibt es gewiss auch andere Meinungen.

Russi: Das ist schwer zu verstehen. Bestes Beispiel Garmisch im Vorjahr: Alle haben geklagt, es sei zu schwer, zu eisig, zu unruhig. Es gab Ausfälle, aber keinen Unfall. Die Fahrer konnten nicht kopflos ans letzte Limit gehen. Glauben Sie, wir hätten keine Unfälle mehr, wenn man alle Gefahren herausnimmt? Das Tempo würde steigen, und dann geschieht etwas Böses.

derStandard.at: Wo lagen die Gefahren zu Ihrer aktiven Zeit?

Russi: Es gab Stellen, an denen Stürzen verboten war. Das gibt es heute fast nicht mehr. Ausgenommen zum Beispiel den Zielsprung in Kitzbühel. Die Fahrer wissen, dass es dort sehr wehtun kann.

derStandard.at: Stichwort Schmerzen. 1969 brachen Sie sich als Stuntman bei den Dreharbeiten zum James-Bond-Film "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" einen Halswirbel. Wie das?

Russi: Der Frühjahrsschnee war hart, bei der dritten Aufnahme an derselben Stelle aber schon aufgeweicht. Ich brach ein, das hat den Sturz ausgelöst. Es war mein Fehler. (derStandard.at, 8.2.2012)