Die heile Welt: Valerie Oberleithner und Ondrej Vidlar.

Foto: Bettina Frenzel

Wien - Das Lied hieß So a Stückerl heile Welt. Die kleine Stefanie Hertel trällerte: "Wir baun uns ein Häuschen aus Sonnenschein, da lassen wir keinen von draußen rein." Solch innige Stimmung verarbeitet die österreichische Choreografin Doris Stelzer in ihrem im Tanzquartier Wien uraufgeführten Stück Lasst uns träumen. In rot-weiß karierten Hoserln und Bluserln treten die Tänzer vor ihr Publikum. Valerie Oberleithner und Ondrej Vidlár öffnen das Tor zu einer glitzernden Schunkelhölle der Alltagsflucht.

Ein gefährliches Terrain für die Performance. Die Auflösung der Volksmusik in einer boomenden Schlagerindustrie erfolgt in einer Parallelwelt der Popkultur. Absolut unberührbar für jede aufgeklärte Bildungsbourgeoisie und leicht zu verhonigeln.

Stelzer verunsichert ihre eigene Klientel, indem sie eben nicht sofort mit dem Offensichtlichen - das wäre die Persiflage - losdonnert, sondern sehr leise einsteigt, die Zeit genüsslich dehnt.

Oberleithner/Vidlár bewegen sich erst in einer Ernüchterung. Als angespannte Backstage-Gespenster mit fahlen Gesichtern zaubern sie einen Hauch von Trostlosigkeit, machen ein paar Anspielungen auf Platteln und Posieren, während kurz und kaum hörbar einige Takte Volksmusik durch den Raum fächeln. Mit diesem Minimalismus, der durch zwei bewegliche, an roten Fäden in den Raum gehängte Metallrahmen (Bühne: Jan Machacek) noch unterstrichen wird, hat Doris Stelzer schon gewonnen.

Denn diese Rechtecke, eines ganz vorn und das zweite nahe der Rückwand, können an ihren Marionettenschnüren sehr dumm tanzen und hüpfen. Sie verweisen offenbar auf das TV-Geschäft, das die Schlagerkultur in die Stuben von einsamen Herzen hineinstrahlt. Eine Kultur, die erfolgreich mit überwältigend sein sollender Schönheit handelt und traurige Gemüter in glückliche Konsumentenseelen verwandelt.

Mit vielen feinen Andeutungen spielt sich das bestechende Duo Oberleithner/Vidlár durch die Struktur des kitschtriefenden Kommerzspektakels und lässt dabei genug Raum für die Frage, warum eine auf ihren spezifischen Sentimentalitäten einherschlitternde Elite sich gar so hoch über den platten Gefühlsduseleien von vermeintlichen Provinzpomeranzen wähnt.

Dieses Lasst uns träumen geht auf jeden Fall alle an, deren emotionales Überleben von irgendwelchen industriellen Stimulanzien angetrieben wird. Das macht Stelzer klar, bevor sie ihre beiden Tänzer dann doch, ganz sanft, in die lüsternen Niederungen einer akribisch vorgekochten Persiflage abtauchen lässt.

In dem geplaybackten Fang das Licht, einst unvergesslich geträllert von Karel Gott und Darinka, hier in der Interpretation von Stefanie Hertel mit Stefan Mross, wird besonders Valerie Oberleithner zu einer Dämonin. In ihrer Mimik spiegelt sich das Stück wider: Aus einer versteinerten, fahlen Miene wächst langsam etwas erst künstlich, dann böse Strahlendes. Am Schluss von Lasst uns träumen wird sie zu Hertels schrecklicher Doppelgängerin - mit einem abgründigen Lächeln, das die giftige Oberfläche einer Unterhaltung symbolisiert, in der keiner von "draußen" reindarf. (Helmut Ploebst, DER STANDARD - Printausgabe, 7. Februar 2012)