Die gefakte "Misopolis" proklamiert eine Welt, in denen die Arbeiterinnen gratis Abtreibungspillen bekommen, um sie zu befreien und eine echte "Fun Factory" zu erschaffen.

Foto: Screenshot dieselforwomen.com

"Schock-Kampagnen" kennt man aus der Modeindustrie. Ein küssender Papst, nekrophile Motive, vor dem Hungertod stehende Models - alles schon da gewesen. Nimmt es also Wunder, wenn eine Firma wie Diesel daran anknüpft und ihre "Campaign For Better Living" plakativ und provokant speziell auf Frauen und ihre Rechte abstellt? Mit "Misopolis - Diesel for Women", einer neuen Kampagnen-Webseite, scheint das zumindest auf den ersten Blick der Fall zu sein.

"Abortions for a Better Living"

Dort bebildern wie üblich Models in verrenkten, übertriebenen Posen Slogans wie "Abortion Pills - A Gift from God" oder "Abortions for a Better Living". Diese Ansagen sorgten für ein großes Echo in den sozialen Netzwerken: Kann es wirklich sein, dass Diesel diese - für die einen geschmacklose, für die anderen passend zu Diesels "Only the Brave"-Leitspruch mutige - Verknüpfung von Modewerbung und Abtreibungsrecht gewagt hat?

Klage-Keule gegen Women on Waves

Die Antwort: Nein. Im Gegenteil hat sich Diesel von der Kampagne als Fake distanziert und rechtliche Schritte gegen die UrheberInnen eingeleitet. Wer die sind, ist mittlerweile bekannt: AktivistInnen der in den Niederlanden beheimateten Frauenrechtsorganisation "Women on Waves" und ihres Online Community-Ablegers "Women on Web".

Seit 1999 kreuzt die Organisation mit ihrer schwimmenden Klinik da auf, wo Frauen unter restriktiven Abtreibungsgesetzen leiden. Die AktivistInnen um Rebecca Gomperts umschiffen diese Verbote wortwörtlich, denn an Bord gilt die liberale Gesetzgebung des Herkunftslandes des Schiffes. So ermöglichen sie ungewollt Schwangeren Zugang zur sicherer Abtreibung mittels Mifegyne.

Viraler Aktivismus

Für die aktuelle Kampagne haben sich die "Women on Waves" aus dem "Yes Lab" einschlägig erfolgreiche  Unterstützung geholt - schließlich ist es ein Projekt der "Yes Men". Die zählen seit den 1990ern zur Speerspitze der Kommunikationsguerilla und haben bis dato etliche kapitalismuskritische Hoaxes in die Welt gesetzt. Über die Lancierung einer gefakten WTO-Seite wurden sie als offizielle Vertreter der Welthandelsorganisation zu Konferenzen eingeladen und führten dort die unmenschliche Logik des Neoliberalismus drastisch vor Augen. Der Chemiefirma "Dow Chemical" bescherten sie einen Börsentiefflug, als sie in deren Namen Milliarden Dollar schwere Wiedergutmachung für die Opfer der 1974 im indischen Bophal verursachten Katastrophe ankündigten. Sie brachten auch über eine Million Exemplare einer gefälschten "New York Times" in Umlauf, in der sie berichten, dass George W. Bush aufgrund des Irakkriegs wegen Hochverrats angeklagt wird.

Großes Stück Öffentlichkeit für humanitäre Anliegen

Mit "Diesel for Women" folgt die virale Kampagne der "Women On Waves" dieser Strategie: Sie bedient sich der öffentlichen Identität einer weltweit bekannten Firma oder Organisation, um ein Maß an Aufmerksamkeit zu erzeugen, die eine relativ unbekannte Non-Profit-Organisation üblicherweise nicht für ihre Anliegen erreichen kann. Für Anliegen, die nicht finanziell motiviert sind, sondern humanitär - etwas, was gerade einer Firma wie Diesel sowieso gut zu Gesicht stehen würde: "Diesel ist eine jener Modemarken, die in Fabriken herstellen lässt, in denen den ArbeiterInnen Hungerlöhne bezahlt, ihre Menschenrechte missachtet und sie gezwungen werden, unter gefährlichen und gesundheitsgefährdenen Bedingungen zu arbeiten", erklärt Gomperts in einer Stellungnahme auf der "Women On Waves"-Seite.

Wie Ausbeutung und Abtreibung zusammenhängt

75 bis 90 Prozent der ArbeiterInnen in der Textilindustrie sind Frauen - junge Frauen, im Schnitt um die 19 Jahre alt, ohne gute Ausbildung, aus armen und/oder ländlichen Familien, betont die NGO. In diesem ausbeuterischen Arbeitskontext herrsche ein Klima, das auch sexuelle Gewalt begünstige. Und gerade in den Herstellerländern wie Bangladesch, Thailand, Philippinen oder Honduras gelten strenge Abtreibungsgesetze, die mitbedingen, dass weltweit 21,6 Millionen Frauen jährlich unsichere Abtreibungen durchführen lassen. 47.000 Frauen sterben daran, betont "Women on Waves".

Den Hoax habe man in Umlauf gebracht, um einerseits auf diese Missstände auf Seiten der Arbeiterinnen in der Modeindustrie - im Allgemeinen und Diesel im Speziellen - sowie andererseits auf die Möglichkeit medikamentöser Abtreibung hinzuweisen. Durch die Kampagne soll deutlich werden, dass Menschenrechtsverletzungen nie isoliert passieren und das Recht auf Abtreibung mit sozialen Rechten, Arbeitsrechten und dem Recht auf Selbstbestimmung zusammenhängen.

"Diesel" ein Wort für Treibstoff

Nach den Klagsankündigungen von Diesel sah sich "Women on Waves" nun genötigt, alle möglichen Urheberrechtsverletzungen mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung von sich zu weisen - und ein Stück zurück zu rudern: Das Wort "Diesel" stehe nicht für die Modemarke, sondern für den Treibstoff, der die Diskussion um Frauen-, Arbeiterinnen- und Abtreibungsrechte zum Laufen bringt. Ob die AnwältInnen der Modefirma diese Argumente gelten lassen, wird sich zeigen. (red/dieStandard.at, 6.2.2012)