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Hollande wird "vermehlt".

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Sarkozy, von Journalisten fast körperlich bedrängt.

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Das Bild ist um die Welt gegangen: François Hollande, der gut platzierte Präsidentschaftskandidat des Parti Socialiste, ist bei einem Auftritt in Paris von einer geistig offenbar leicht verwirrten Frau mit Mehl beworfen worden.

Die Light-Version des üblichen Tortenbewurfs - bei dem das Mehl verarbeitet wird - ist in mehrfacher Sicht aufschlussreich. Zum einen erwies sich Hollande als kaltblütig und reagierte weder defensiv noch aggressiv, was für ihn sicher das Beste war. Solche Momente können einem Präsidentschaftswahlkampf eine Wendung geben. Man stelle sich vor, Hollande hätte über- oder sonstwie falsch reagiert. Das hätte den Argumenten des Sarkozy-Lagers Vorschub geleistet, der Sozialist sei ein Schönwetterkandidat, der seine Krisenresistenz noch nie - nicht einmal als Minister - unter Beweis gestellt habe.

Trotzdem ist der Imageschaden für den 57-jährigen Spitzenkandidaten beträchtlich. Der gemäßigte Sozialdemokrat wollte vor der Stiftung Abbé Pierre über sein soziales Wohnbau-Programm sprechen und damit engagierte Wähler ansprechen. Die Medien berichteten aber nur noch über die "enfarinade" (wörtlich: Vermehlung). Und die Bilder zeigen einen Mann als Opfer eines Angriffs. Man sieht erstmals Hollandes Haarsträhnen auf seinem schütteren Haupt, die weißen Brillengläser sind blind. 

Die Angreiferin

Die Mehlwerferin, eine 45-jährige Wohnungssuchende namens Claire Seguin aus Lille (Nordfrankreich), erklärte, die Sozialisten seien an ihrem Unglück schuld. Damit meinte sie zweifellos die Stadtverwaltung unter Bürgermeisterin und Sozialistenchefin Martine Aubry. Die Angreiferin kam noch am gleichen Abend in psychiatrische Behandlung - was immer das heißen mag. Ob sie mit dem Mehlwurf auf den französischen Ausdruck "rouler dans la farine" (reinlegen, übers Ohr hauen) anspielen wollte, ist unbekannt.

Zu reden gibt der gewaltlose Gewaltakt aber auch, weil Hollande gar keine richtige Leibwache hatte. Zufällig war ihm auf den gleichen Tag hin von Staats wegen eine Eskorte zugeteilt worden - doch sie war bei dem Anlass noch nicht im Einsatz. Hollande hatte bisher mehr Wert darauf gelegt, Wachpersonal gegen die Fotografenmeute zu beschäftigen. Mindestens zwei Mann spannen jeweils auf Hüfthöhe einen Strick vor dem Kandidaten auf, wenn er sich zu Fuß fortbewegt. So hält er die Kameras und Fotoobjektive auf Distanz, ohne dass dieses Seil in den Filmberichten sichtbar wäre. Mir ist bisher kein anderer Präsidentschaftskandidat begegnet, der mit solchen Methoden seine Auftritte medial zu kontrollieren sucht. Man kann sich überdies fragen, warum Hollande seine Strickhalter nicht als Leibwächter einsetzte, wenn er jeweils stationär war wie hinter dem Rednerpult der Fondation Abbé Pierre.

Der sozialistische Frontrunner ist allerdings nicht der Einzige, der es mit der Sicherheit wenig genau nimmt. Letzte Woche war ich im Élysée, um mir Nicolas Sarkozys Neujahrswünsche an die Presse anzuhören. Ich war etwas spät dran und entsprechend in Eile, staunte aber selbst, wie ich meine Einladungskarte hochhaltend durch das Eingangsportal des Präsidialsitzes und den Metalldetektor schreiten konnte: Dieser war entweder außer Betrieb oder so schlecht eingestellt, dass er weder auf mein Metallarmband, Handy und Kleingeld noch auf meine Fotokamera (im Metallgehäuse) reagierte. Es wäre kein Problem gewesen, eine Pistole oder ein Messer einzuschmuggeln; und im Festsaal kam man problemlos auf Hautkontakt an den Präsidenten heran. (Stefan Brändle, derStandard.at, 7.2.2012)