Elke Heidenreich präsentiert im ZDF die literarische Kaufempfehlung "Lesen!" mit sensationellen Quoten.

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Die neue mächtige Figur im Literaturbetrieb heißt Elke Heidenreich. In ihrer ZDF-Sendung "Lesen!" vorgestellte Bücher werden Bestseller. Auf der Strecke bleibt in der frohgemuten Sendung allerdings die Rezeption.


Wien - Ende April trat sie das erste Mal an. Allen wegen des Endes des Literarischen Quartetts aus 2001 bezüglich neuer und etwas biederer Konsensromane orientierungslos gewordenen Lesern sollte unter anderem mit Ein Traum alter Liebe, einer unabsichtlichen irischen Courts-Mahler-Hommage aus der Feder von Nuala O'Faolain, gezeigt werden, wo der Hammer hängt.

Elke Heidenreich, die umtriebige deutsche Starschreiberin (Brigitte), TV-Kolumnistin (Else Stratmann) und Erzählerin (Kolonien der Liebe), sorgte im ZDF das erste Mal mit Lesen! für unverhoffte Quoten. Das Debüt der 60-Jährigen in den Fußstapfen des Literarischen Quartetts sorgte trotz Sendeplatz nach 22 Uhr für prächtige Einschaltzahlen. 2,45 Millionen Zuseher bescherten dem Sorgenkind Literaturvermittlung im TV ein spätes Glück.

Druckfrisch auf ARD dümpelt als zweitmeist gesehene TV-Literatursendung bei 500.000 Sehern herum. Willkommen im Club auf Vox und Der Büchertalk auf SWR können von hunderttausend Sehern nur träumen. Der ORF ist vorsichtig. Es gibt keine derartige Sendung mehr.

Das Erfolgskonzept, das hat auch jetzt die zweite von künftig sechs- bis achtmal jährlich geplanten Sendungen mit dem wenig überraschenden Gast Marcel Reich-Ranicki bewiesen, ist einfach: In einer Zeit, in der alles furchtbar kompliziert geworden ist, sehnen sich die Menschen nach Orientierung. Bei gut 90.000 jährlich erscheinenden Buchtiteln und rückläufigen Leserzahlen geht es um zwei Kernanliegen von Heidenreich.

Erstens: Die Leute sollen wieder zur Lektüre "verführt" werden. Die Betonung liegt hier auf hochgelagerter "Unterhaltungsliteratur". Bei der darf man sich dann schon auch einmal selber etwas in Richtung "Gott, bin ich sensibel" wegdenken, etwa jetzt in der aktuellen Sendung bei Max Aubs Opus magnum Das magische Labyrinth.

Solange das Teil "leicht lesbar von der Sprache her, nicht aber vom Inhalt" ist (Heidenreich) und parallel dazu ein Hörbuch auf den Markt geworfen wird, ist alles bestens: "Das wunderbar gestaltete Hörbuch ist für Leute, die nicht so gern so viel lesen oder zu wenig Zeit dafür haben und das dann im Auto hören." Darum wohl auch der Imperativ der Sendung: Lesen!

Zweitens: Wenn schon lesen, dann nur mit gutem Gefühl. Das lässt sich nur erreichen, wenn man nicht dauernd herumnörgelt. In Lesen! wird nur gelobt. Von literarischen Kriterien ist nicht mehr die Rede. Hauptsache verständlich und eine schöne Sprache. Schöne Geschichte? Von A nach B! Ein bisschen Kuschelmuschel und Sinn des Lebens? Auch super!

In der Entwicklung weg von der althergebrachten Literaturkritik sind wir parallel zur Verschiebung des Journalismus hin zu "Content-Raum" und "Medienpartnerschaft" nun auch hier angelangt, wo es heißt: Rezeption findet nur über Inhalt statt. Was man sieht, ist, was man kriegt. Und bitte: zwei Stellen im Roman noch, die man sich ins Stammbuch schreiben kann!

Wer Erfolg hat, hat Recht. Elke Heidenreich muss mit ihrer Butterfahrt schon jetzt nach Literaturkanone Marcel Reich-Ranicki als mächtigste Figur im Literaturbetrieb gewertet werden.

Der Verkauf des oben zitierten Romans von Nuala O'Faolain schnellte nach der ersten Lesen!-Sendung von 6500 Stück innerhalb eines Monats auf gut 50.000 Stück. Der Claassen-Verlag kam mit dem Drucken gar nicht nach. Ein Fehler, der ab sofort nicht mehr begangen wird. Künftig soll schon im Vorfeld gerade auch für die Verlage eine Liste der abgefeierten Bücher veröffentlicht werden. Drei der vier in der ersten Sendung vorgestellten Titel erreichten Platz eins der Verkaufs-Charts. Heidenreich: "Das haben wir gut gemacht!"

Mit Reich-Ranicki wurde jetzt übrigens auch die Frage besprochen, ob man beim Lesen Alkohol trinken dürfe. Bei Lesen! auf alle Fälle. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2003)