Kabul/München (APA/Reuters/dpa) - In Afghanistan sind im vergangenen Jahr nach UNO-Angaben mehr als 3.000 Zivilisten getötet worden. Damit sei die Zahl das fünfte Jahr in Folge gestiegen, teilte die Unterstützungsmission der UNO in Afghanistan (UNAMA) am Samstag mit. Die Menschen seien vor allem Opfer von am Straßenrand versteckten Sprengsätzen und von Selbstmordanschlägen geworden. Auch am Sonntag starben wieder Zivilisten durch eine Autobombe. Bei der Explosion in der südafghanischen Taliban-Hochburg Kandahar wurden mindestens neun Menschen getötet und 19 weitere verletzt. Unter den Opfern seien fünf Polizisten, teilte die Provinzverwaltung mit. Bei zwei Toten handle es sich um Zivilisten. Die Explosion habe sich in der Nähe eines belebten Einkaufszentrums ereignet.

Den UNO-Angaben zufolge töteten im vergangenen Jahr regierungsfeindliche Gruppen wie die radikal-islamischen Taliban und das mit ihr verbündete Haqqani-Netz (Hakkani) 2.332 Zivilisten, ein Anstieg von 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei Einsätzen von Sicherheitskräften seien zudem 410 Zivilisten ums Leben gekommen, vier Prozent weniger. Durch die NATO wurden die meisten Zivilisten (187 Menschen) bei Luftangriffen getötet. Insgesamt seien 3.021 Zivilisten getötet worden.

Die wachsende Zahl getöteter Zivilisten untergräbt sowohl in Afghanistan als auch in den Vereinigten Staaten die Unterstützung für den von den USA angeführten Krieg. Er ist zudem eine der größten Ursachen von Spannungen zwischen Präsident Hamid Karzai und der internationalen NATO-Truppe ISAF.

Die Taliban haben die von den Vereinten Nationen vorgelegten jüngsten Opferzahlen im Afghanistankonflikt zurückgewiesen. In einer im Internet veröffentlichten Botschaft warf ein Talibansprecher den UN am Sonntag vor, mit der Statistik ziviler Opfer in dem Land "Verbrechen der ausländischen Invasionstruppen" verschleiern zu wollen.

Talibansprecher Sabiullah Mujahid nannte es "überraschend", dass die UN-Organisation nur 63 Opfer von nächtlichen Angriffen der NATO-Truppen gezählt hätten. Die Aufständischen hätten mindestens 374 Tote nach solchen Angriffen registriert.

Zuversichtliche Taliban

Bei den Taliban wächst unterdessen die Zuversicht, nach dem Abzug der NATO-Truppen wieder die Oberhand zu gewinnen. Dies geht aus einem geheimen NATO-Bericht hervor, der sich auf die Aussagen gefangener Taliban-Kämpfer stützt. Allerdings bezweifeln Militärexperten, dass die Islamisten wieder zu alter Stärke zurückfinden können. Die afghanische Armee sei sehr viel größer und besser ausgestattet als noch in den 90er Jahren, als die Taliban die Macht in dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Land übernahmen.

Das afghanische Militär soll ab 2014 aber nicht nur weitgehend ohne die Hilfe der NATO-Truppen auskommen, sondern mittelfristig auch noch erheblich schrumpfen. Die NATO-Verteidigungsminister hätten über eine nachhaltige Größenordnung diskutiert, eine Festlegung dazu werde es aber erst auf dem NATO-Gipfel im Mai in Chicago geben, erklärte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Freitag in Brüssel. Der französische Verteidigungsminister Gerard Longuet sagte, eine vernünftige Zahl von Soldaten und Polizisten sei 230.000. Unter dem ISAF-Einsatz sollen die afghanischen Sicherheitskräfte bis Ende 2012 von derzeit rund 320.000 auf eine Stärke von gut 350.000 aufgestockt werden.

US-Verteidigungsminister Leon Panetta stellte auf der Münchner Sicherheitskonferenz klar, dass die US-Truppen am Hindukusch wie vereinbart bis Ende 2014 kampfbereit bleiben werden. Demnach scheren die USA nicht aus der NATO-Planung für den Abzug aus. Kurz vor der Konferenz hatte Panetta noch den Eindruck vermittelt, er wolle das Kampfeinsatz-Ende auf 2013 vorziehen. Bei den Verbündeten hatte er für massive Irritationen gesorgt. Zum US-Truppenabzug erklärte Panetta am Samstag, die ISAF werde die Sicherheitsverantwortung bis 2013 an die afghanische Armee und Polizei übergeben. Für die bis zu 18 Monate dauernde Übergangszeit bis Ende 2014 werde die Truppe aber weiterhin "vollständig kampfbereit" sein. Damit bleibt Frankreich das einzige größere NATO-Land, das schon 2013 aus Afghanistan abziehen will.

Bereits jetzt haben afghanische Armee und Polizei die Sicherheitsverantwortung für etwa 50 Prozent der Bevölkerung übernommen. In allen bereits übergebenen Gebieten werden sie aber weiterhin von ISAF-Truppen unterstützt. In Kabul haben die NATO-Truppen 2011 etwa Großangriffe der Taliban auf ein Hotel und das Botschaftsviertel zusammen mit den Afghanen abgewehrt. (APA)