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Juri Fedotow (64) ist seit Juli 2010 Direktor des UN-Büros zur Bekämpfung der Drogenkriminalität (UNODC) und Chef des UN-Sekretariats in Wien. Der russische Diplomat war unter anderem Vize-Außenminister und zuletzt Botschafter in London.

Foto: Reuters/Bader

Von Julia Raabe und Tobias Müller.

STANDARD: Laut UNODC gibt es weltweit zwischen 16 und 38 Millionen Menschen mit problematischem Drogenkonsum – eine vergleichsweise kleine Zahl. Rechtfertigt sie die massiven Anstrengungen im Kampf gegen die Drogen?

Fedotow: Mit Zahlen kann man immer spielen. Beeindruckender finde ich die: Um die 100.000 Menschen sterben jedes Jahr wegen Heroin und anderer Opiate, an einer Überdosis, HIV/Aids, anderen Krankheiten. Jedes Leben ist wertvoll. Deshalb müssen wir die Menschen schützen. Das entspricht den Prinzipien der Menschenrechte. Wir schützen ihr Recht auf Leben und Gesundheit.

STANDARD: Die Zahl der Menschen, die jährlich an Unterernährung stirbt, ist weitaus höher. Wäre es dann zum Beispiel nicht wirksamer, das Geld in den Kampf gegen Unterernährung zu investieren?

Fedotow: Es gibt andere UN-Programme, die sich um Ernährung kümmern. Unsere Rolle ist es, Menschen zu helfen, Drogenabhängigkeit zu überwinden und sich wieder zu integrieren.

STANDARD: In Mexiko kamen in den ersten drei Quartalen 2010 etwa 13.000 Menschen ums Leben. Besteht nicht die Gefahr, dass mehr Menschen im Kampf gegen Drogen sterben als durch Drogenkonsum?

Fedotow: Dort geht es generell um organisierte Kriminalität. Die Regierung versucht, Kapazitäten aufzubauen, um das Problem besser zu bekämpfen. Sie braucht mehr Unterstützung. Aber nehmen Sie Kolumbien: In den 1990er-Jahren waren die Drogenkartelle die Herrscher weiter Teile des Landes. Jetzt hat sich die Situation verändert. Die Kokain-Produktion wurde in zehn Jahren halbiert. In Mexiko gibt es ein starkes Engagement der Behörden, die Situation zu verbessern.

STANDARD: Also keine Gefahr, dass Mexiko zu einem gescheiterten Staat verkommt?

Fedotow: Nach meinen Beobachtungen verschlechtert sich die Lage nicht. Der allgemeine Trend ist positiv.

STANDARD: Die internationalen Truppen werden aus Afghanistan abgezogen. Was heißt das für Sie?

Fedotow: Die Uno wird eine größere Rolle spielen. UNODC wird ein regionales Programm für Afghanistan und die angrenzenden Staaten lancieren. Das ist neu. Bisher gab es gesonderte Programme für Afghanistan, Pakistan, Iran, etc. Wir müssen sehr überlegt vorgehen und verhindern, dass Afghanistan zum Drogenstaat wird.

STANDARD: Das ist die Befürchtung.

Fedotow: Sie ist berechtigt. Daher entwickeln wir das Programm.

STANDARD: Ungeachtet aller bisherigen Anstrengungen ist die Opium-Produktion in Afghanistan 2011 in die Höhe geschossen.

Fedotow: Ich hoffe, sie wird nicht weiter steigen. Afghanistan sollte zumindest auf diesem Niveau verbleiben. Vor zwei Jahren gab es einen Rückgang, jetzt eine neue Steigerung von 61 Prozent ...

STANDARD: ... was enorm ist.

Fedotow: Wir sind jetzt bei 5800 Tonnen – aber das ist immer noch unterhalb der Spitze von 2007, als wir ungefähr 8200 Tonnen hatten.

STANDARD: Der Atomstreit mit dem Iran eskaliert. Wie wirken sich die Spannungen aus?

Fedotow: Wir sind nicht in die nuklearen Angelegenheiten involviert. Iran ist für uns ein wichtiger Partner. Sie tun viel, um den Drogenhandel über ihre Grenzen zu verhindern. Und was die Beschlagnahme von Opiaten angeht, sind sie weltweit die Nummer Eins. In Afghanistan werden rund 400 Tonnen Heroin im Jahr hergestellt, wovon rund 115 Tonnen in den Iran geschmuggelt werden. Afghanistan und Iran sind die Länder mit dem größten Suchtproblem. Iran hat zwei Millionen Drogenabhängige. Sie wollen dabei auch international eine positive Rolle spielen – und ich sehe nicht, warum wir sie nicht unterstützen sollten.

STANDARD: Im Kampf gegen Drogen setzt der Iran auch auf die Todesstrafe. Die meisten Hinrichtungen finden wegen Drogendelikten statt.

Fedotow: Das habe ich persönlich angesprochen. Uns wurde erklärt, dass es sich nicht um Verbrechen handelt, die direkt mit Drogen in Zusammenhang stehen, sondern mit dem illegalen Handel. Der Iran sieht sich in einem Krieg. Über 3000 Grenzbeamte wurden auf iranischer Seite getötet bei dem Versuch, Drogenhändler davon abzuhalten, die Grenze zu passieren. Wir haben unsere Sorge über die Todesstrafe ausgedrückt und wünschen uns mehr Transparenz. Bis jetzt haben wir keine offiziellen Statistiken. Wir wollen wissen, wie viele Menschen hingerichtet werden – und weshalb.

STANDARD: NGOs kritisieren, UNODC unterstütze mit der Hilfe im Kampf gegen Drogen indirekt auch die Hinrichtungen.

Fedotow: Nein. Die Methoden sind gegen die UN-Prinzipien, wenn es auch keine internationale Konvention gegen Todesstrafe gibt. Wir versuchen, die Bedenken auszudrücken und gleichzeitig die Zusammenarbeit fortzusetzen. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.2.2012)