Vor der Altwarenhandlung in der Meidlinger Pohlgasse können sozial Bedürftige jeden ersten Freitag im Monat gebrauchte Haushaltswaren gratis mitnehmen.

Foto: Lorenz Kunath

Altwarenhändler Gerhard Rammel ist froh, noch Brauchbares nicht wegschmeißen zu müssen: "Früher wurde alles entsorgt, jetzt verschenke ich, was ich nicht verkaufen kann."

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Mitnehmen dürfen die Leute im Prinzip alles - "aber halt in Maßen", wie Rammel betont.

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Um die 40 bis 50 Leute kommen durchschnittlich zur Gratisausgabe, die meisten sind "Laufkundschaft".

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Gratis einkaufen dürfen alle InhaberInnen eines Sozialmarktausweises bzw. eines Sozial-/Mobilpasses. Rammels Name ist dem Sozialamt und diversen Hilfseinrichtungen bereits ein Begriff. Mehr Bilder sind hier zu finden.

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Fest eingepackt in seine Lammfelljacke sitzt Gerhard Rammel auf dem einladenden Biedermeiersofa im hinteren Teil seiner Meidlinger Altwarenhandlung. Von hier hat er den besten Blick durch das dicht angeräumte Geschäft. "Ich bin hineingeflüchtet, bei minus zehn Grad kommt heut eh kaum wer", sagt er, während sein Assistent statt ihm den Weg in die Kälte antritt.

Jeden ersten Freitag im Monat ist Sozialmarkt vor Herrn Rammels Geschäft: Neben der Tür stapeln sich Bananenkartons mit Hausrat und Krimskrams: Häferl, Töpfe, eine Zitronenpresse, Bücher, Bilder, Kuscheltiere. Zwei dick eingemummte Frauen wühlen in einem Berg mit Kleidungsstücken, eine andere interessiert sich für Bettzeug und Tischdecken. "Gratisvergabe nur mit Mobilpass" steht in Blockbuchstaben auf einem Blatt Papier. "Den müssen alle herzeigen, die umsonst einkaufen wollen", betont der Geschäftsführer. "Dann können sie mitnehmen, was sie wollen - aber alles in Maßen."

Gebrauchtes verschenken

Gerhard Rammel führt seit 35 Jahren Wohnungsräumungen und Entrümpelungen im großen Stil durch, häufig im Auftrag von Wiener Wohnen. Vor drei Jahren hatte der 68-Jährige die Idee, nicht mehr Gebrauchtes bedürftigen Menschen zukommen zu lassen. "Früher wurde alles entsorgt, jetzt verschenke ich, was ich nicht verkaufen kann. Es ist schade, das alles wegzuschmeißen." Auch Sachspenden, die Leute vorbeibringen, werden dem guten Zweck gestiftet, meist Geschirr, Bekleidung und Kleinrat.

Um die 40 bis 50 Leute kommen durchschnittlich zur Gratisausgabe, die meisten "Laufkundschaft", an einem Frosttag wie diesem sind es freilich nur eine Handvoll. Rammels Name ist dem Sozialamt und diversen Hilfseinrichtungen bereits ein Begriff, auch auf SeniorInnen-Webseiten und wien.at finden sich Infos zum Haushalts-Sozialmarkt. "Die Menschen kommen aus ganz Wien, um gratis einzukaufen", so Herr Rammel, "das spricht sich herum, da brauch ich gar keine Werbung machen."

Second Hand als erstes

Seit den 1970er Jahren, als er seinen ersten Secondhand-Laden in Wien eröffnete, hat der Geschäftsmann fast jeden Tag seines Lebens gearbeitet, war kaum einen Tag krank. Früher einmal hatte der Altwarenhändler neun Lkws und 40 MitarbeiterInnen, heute sind es fünf. "Ich hab halb Wien entrümpelt", sagt er lächelnd. Nicht nur sein Geschäftslokal ist angefüllt mit Waren aller Art, auch die insgesamt 300 Quadratmeter Lagerflächen seien bis auf den letzten Zentimeter ausgenutzt. "Alleine Bücher sind an die 50.000 dort gestapelt." Weiß man da überhaupt noch, was man hat? "Ja sicher, ich habe ein fotografisches Gedächtnis", schmunzelt er.

Unzählige Keller oder Wohnungen hat der Entrümpler schon leergeräumt, bei Delogierungen in Begleitung von SozialarbeiterInnen. "Das ist nicht immer angenehm, was man da erlebt, aber ich habe gelernt, das wegzustecken", erzählt der Räumungsprofi. Wenn "Messies" etwa ihren Unrat nicht freigeben wollten, ein Hundeskelett in einer verwahrlosten Wohnung auftauche oder eine seit Wochen nicht mehr stromversorgte Tiefkühltruhe zu entsorgen war.

Vergangene Schicksale

In alten Möbeln und unter Hausrat verbergen sich hin und wieder auch längst vergangene Schicksale: "Da war ein Brief aus dem Krieg, wo ein Soldat sich für immer von seiner Liebsten verabschiedet oder jener über eine Frau, die vor Liebeskummer und Sehnsucht gestorben ist." Aber auch boshaft-witzige Nachrichten von Verstorbenen an ihre Anverwandten seien ihm schon untergekommen. Was er sonst noch Spannendes entdeckt hat, sei "Betriebsgeheimnis", sagt er verschmitzt.

Sein Geschäft ist Gerhard Rammels Lebenswerk. Privat sammelt er auch gerne Altes, "vor allem Porzellanfiguren", und er schreibt gerne Gedichte. Selbst mit 68 Jahren denkt der "Meidlinger Altwarenpoet", wie ihn Insider nennen, nur manchmal ans Aufhören: "Ein Jahr will ich noch arbeiten - das sag ich seit zehn Jahren ..." (Isabella Lechner, derStandard.at, 3.2.2012)