Die Ästhetische Medizin will uns einreden, was wir an körperlichen Korrekturen benötigen. Um Massen zu erreichen, benötigt sie Propaganda, manipulative Information. Die gesellschaftspolitischen und medizinischen Auswirkungen werden kaum beziehungsweise zu spät erkannt.

Selbstbewusstsein, ästhetische Chirurgie und Hunger

Die Ästhetische Medizin gibt vor, der Mensch brauche für sein Wohlbefinden auch einen ästhetisch intakten Körper, und bietet gleich Lösungen wie Brustimplantate, Nasenkorrekturen, Fettabsaugung, Augenlidkorrekturen, Facelifting, Lippenmodellierung etc. an.

Ästhetik unterliegt - nicht so schnell wie die Mode - einem Wandel. Eingriffe in die Natur des Körpers sind temporär begrenzt ästhetisch und verlagern die Verantwortung für die innere und äußere Schönheit vom Subjekt Mensch an Trendästheten mit Gewinnabsichten.

Eine Haltung als gesellschaftlicher Spiegel: Wir lassen nachdenken und wundern uns, dass, wie in der Finanzwelt, nur jene Gewinne daraus ziehen, die nachgedacht das Neue aufgebaut haben.

Im Untertitel der STANDARD-Beilage vom 20. Jännner 2012 steht: "Dr. Greta Nehrer über ihre tägliche Arbeit und wie sie ihren Patienten zu einem neuen Selbstbewusstsein verhilft". Meine Wut über elf Seiten dargestellter Volksblendung ist groß. Die zwölfte Seite dieser Beilage setzt dem Ganzen noch die "Krone" auf: "Alle sechs Sekunden stirbt ein Kind an Hunger! Who cares?" Haben wir jeden Sinn für politische Ästhetik verloren?

Selbstbewusstsein

Sich selbst bewusst sein könnte nach Kant das "in mich Hineinhören", das auf mich "Draufschauen" und die Form des aus mir "Herausschauens und Denkens" sein. Selbst wenn aus dem Denken Hegels Selbstbewusstsein weitgehend aus der Anerkennung der anderen bestimmt wird: dass Selbstbewusstsein mit Operationen und Fettwegspritzen geschaffen werden soll, ist eine Erkenntnis, die dieser Beilage von Media Planet vorbehalten bleibt.

Selbstbewusstsein mit unreflektiertem Nacheifern eines plastifizierten Schönheitsideals zu verwechseln ist dumm genug, Selbstbewusstsein anzubieten und Gewinne lukrieren zu wollen löst meine Wut aus. Österreichische Gesichter, Busen, Lippen, Falten, Nasen und, und, und mögen verteidigt werden gegen US-amerikanische, venezolanische, brasilianische oder berlusconische Verunstaltungen.

Die Realität

Zwischen 400.000 und 500.000 Frauen ließen sich minderwertige Brustimplantate einsetzen, viele von ihnen stehen vor einer erneuten Operation, haben Angst vor Krebs. Die französische Firma Poly Implants Prothèse (PIP) hat jahrelang Prothesen mit billigem Industriesilikon verkauft. Ärzte haben sie verwendet. Mit 18 ließ Carolin Wosnitza die erste Brustvergrößerung machen, nach der fünften war sie tot. Mit 23! Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft in Hamburg.

Reparatur-Chirurgie nach Unfällen, Krebs, Missbildungen ist notwendig, aber offensichtlich zu wenig gewinnträchtig. Schönheits-Chirurgie braucht Bewusstseinsbildung und versucht uns einzureden, was wir für unser Selbstbewusstsein benötigen. (derStandard.at, 8.2.2012)