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Die Bürger sagen zu Recht: "Treibt zuerst Steuern ein"

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Die Transaktionssteuer soll gefährliche Geschäftspraktiken der Banken eindämmen, sagt die EU.

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Österreich steht dem effektiven Kampf gegen Steuerbetrug im Weg, sagt EU-Kommissar Algirdas Semeta und erklärt warum Finanztransaktionen besteuert werden müssen.

Standard: Herr Kommissar, sind Sie verrückt?

Semeta: Warum fragen Sie?

Standard: Sie kämpfen seit einem halben Jahr für die Einführung einer EU-weiten Finanztransaktionssteuer. Der britische Premier David Cameron bezeichnete die Idee jüngst als "verrückt". Er meinte, die Einführung der Steuer würde eine halbe Million Jobs kosten.

Semeta: Ich reiche die Frage weiter: Länder wie Österreich, Italien, Deutschland und Frankreich unterstützen die Transaktionssteuer. Sind die alle wahnsinnig? Jeder Vorschlag zur Einführung einer neuen Steuer ruft heftige Reaktionen hervor. Daran bin ich gewöhnt. Unsere britischen Freunde neigen dabei zu irreführenden Übertreibungen. Es wäre an der Zeit, die Debatte zu entemotionalisieren.

Standard: Das Hauptargument gegen die Finanztransaktionssteuer ist, dass Banken ihre Geschäfte ins Ausland verlagern würden.

Semeta: In dem Modell, das meine Behörde erarbeitet hat, haben wir genau diese Gefahr entschärft. In unserem Vorschlag kommt es nicht darauf an, wo eine bestimmte Transaktion stattfindet. Um die Steuerpflicht zu begründen, reicht es aus, wenn einer der beiden Geschäftspartner einen Bezug zur EU hat. Kauft zum Beispiel ein deutsches Unternehmen in New York Aktien, würde die Steuer anfallen. Durch dieses Ansässigkeitsprinzip wäre es völlig sinnlos, Geschäfte zu verlagern. Wenn, müsste schon das gesamte Unternehmen mitsamt dem Kundenstock die EU verlassen. Wir haben die Steuersätze so niedrig gewählt (0,1 Prozent für Aktienumsatz, 0,01 Prozent für Derivate, Anm.), dass sich das nicht rentieren würde.

Standard: Eine andere Kritik lautet, dass bestimmte Transaktionen überhaupt zurückgehen würden.

Semeta: Das ist sogar erwünscht. Es ist unser Ziel, die Banken dazu anzuhalten, ihr Geschäftsmodell zu überdenken. Dabei geht es vor allem um das problematische High Frequency Trading, bei dem oft tausende von Transaktionen in einer Sekunde stattfinden. Diese Geschäfte sind oft sehr riskant und haben mehr mit Glücksspiel gemein als mit der Realwirtschaft. Wenn wir die Zahl dieser Deals von sagen wir 100 auf 30 die Sekunde reduzieren können, würde das niemandem Schaden, dafür aber mehr Sicherheit schaffen.

Standard: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ist vorgeprescht und will die Steuer auf eigene Faust einführen. Begrüßen Sie das?

Semeta: Wir werden weiter dafür kämpfen, dass alle 27 EU-Staaten die Steuer umsetzen. Die EU-Kommission schlägt ja vor, die Einnahmen aus der Steuer für das EU-Budget zu verwenden. Das wäre nur möglich, wenn alle Länder der Union sie mittragen. Das Ansässigkeitsprinzip erlaubt es aber tatsächlich, dass eine kleinere Anzahl von EU-Staaten vorangeht. Sarkozys Initiative könnte eine eigene Dynamik entwickeln.

Standard: Ihr Büro verantwortet den Kampf gegen Steuerhinterziehung mit. Das wichtigste EU-Instrument dafür ist der länderübergreifende Austausch von Infos über die Zinseinkünfte der Bürger. Österreich und Luxemburg verweigern sich diesem Prinzip.

Semeta: Ich verstehe, dass das Bankgeheimnis in Österreich und Luxemburg eine lange Tradition hat. Aber besonders angesichts der Tatsache, dass die meisten EU-Staaten ihren Haushalt konsolidieren müssen, wäre die volle Umsetzung des Informationsaustausches durch alle EU-Länder, also auch durch Österreich und Luxemburg, wichtig. Das würde den EU-Ländern erlauben, ihre Steuern besser einzutreiben. Es könnte sogar dazu führen, dass einige soeben beschlossenen Steuererhöhungen obsolet würden. Die Bürger sagen ihren Regierungen zu Recht: Treibt zuerst Steuern ein, ehe ihr neue einhebt.

Standard: Österreich und Luxemburg blockieren die Gespräche über einen Vertrag der Kommission mit fünf Nicht-EU-Ländern, darunter die Schweiz, zur verbesserten Steuerkooperation. Kommen diese Verträge, wäre auch Österreich zum Infoaustausch verpflichtet.

Semeta: Ich würde Österreich und Luxemburg dringend einladen, ihre Position zu überdenken und den Willen der anderen 25 EU-Staaten zu beachten, die in diesen Verhandlungen fortfahren möchten. Die Kommission würde diese Verträge aushandeln – aber ihre Annahme obliegt den einzelnen Mitgliedstaaten, sie hätten also Kontrolle über den Prozess. Ich kann also nicht verstehen, warum einige Staaten abgeneigt sind, uns das Mandat zu geben. Wir haben darum im Mai 2011 angesucht und es bis jetzt nicht erhalten. In der gegenwärtigen ökonomischen Lage ist das inakzeptabel.

Standard: Deutschland hat mit der Schweiz soeben einen Vertrag geschlossen, der auf den Austausch von Kontoinformationen verzichtet. Macht das die österreichische Position nicht verständlicher?

Semeta: Österreich ist im Gegensatz zur Schweiz EU-Mitglied. Mit dieser Mitgliedschaft sind zahlreiche Privilegien, aber auch Verpflichtungen verbunden. Österreich hat gemeinsam mit anderen EU-Ländern bereits 2003 zugesagt, zum automatischen Informationsaustausch überzugehen. Verträge mit Drittländern können keine Entschuldigung dafür bieten, unsere eigenen, höheren Standards in der EU im Kampf gegen Steuerflucht zu senken.

Standard: Wie viel entgeht den EU-Ländern durch Steuerbetrug?

Semeta: Es ist sehr schwer, das genau zu sagen. Wir haben Studien, die von 250 bis 300 Milliarden Euro pro Jahr ausgehen. Das Problem ist jedenfalls groß, weswegen die Kommission noch heuer weitere Initiativen vorlegen wird. So planen wir einen Vorschlag zum gemeinsamen Umgang der EU mit Steueroasen, bei dem auch die Frage nach Sanktionen gegen diese Länder diskutiert wird. (András Szigetvari, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 3.2.2012)