Ein bisschen seltsam ist Sant Pol del Mar nicht weit östlich von Barcelona ja schon. Da stapelt, sich von außen nur bedingt ästhetisch, Ferienwohnung über Ferienwohnung gleich hinter einem schmalen Streifen Strand, und unter dem Haufen Ferienwohnungen und Hotel fährt der Zug durch. Und wo sich unter den Ferienwohnungen auch ein paar schöne ältere Villen drängen, trennt die Eisenbahn den Ort und ihre Terrassen vom noch schmaleren Strand. Eine nicht gerade selten befahrene Strecke, scheint mir.

Womit man bei Carme Ruscalledas Dreisternelokal Sant Pau auch von einem Bahnhofsrestaurant sprechen könnte. Aber das wäre natürlich schon ein bisschen hart. Der prächtige Gastgarten zu Bahn und Meer dürfte doch ein bisschen weniger laut sein als jener des Braunen Bären in Greifenstein oder der Sonne in Tulln. Und wir sind ja nicht zum Hören da. Sondern zum Staunen, was die einzige Frau der Welt mit zweimal drei Michelin-Sternen (in Sant Pol und Tokio) so auf den Teller bringt. Wir staunten viel, auch über den etwas überraschenden Einsatz von Lebensmittelfarbe. Katharina Schell zeigt's Ihnen auf den folgenden Seiten ...

Micro-Menü nennt Frau Ruscalleda vier kleine Appetizer vorweg. Hier haben wir zum Beispiel ein Löffelchen aus Tapiokaperlen mit Apfel und Rettich. Schon ganz gut.

Davor waren wir ein bisschen enttäuscht - vom ersten Gruß, einer etwas langweiligen, knofeligen "Begrüßungssuppe" von Maroni und Trockenfrüchten. Und gewaltig begeistert - nur ein Brot, das aber nach den Vorgaben von und für Sant Pau gebacken war und praktisch das Brot schlechthin: krustig, saftig, herrlich.

Foto: Katharina Schell

Kabeljaukutteln, soweit man da von Kutteln sprechen kann, stehen bei den katalanischen Kochkapazundern derzeit offenkundig hoch im Kurs - Sie erinnern sich gewiss an unsere Leistungsschau des angeblich zweitbesten Restaurants der Welt. Die kommen hier auch im Süppchen, begleitet von Dashi, Zwiebel und Sellerie. Schon ziemlich spannend.

Im Bild aber der dritte Teil des Micro-Menüs: ein Knäuel aus Lauch, asiatischer Qualle und Nudeln. Auch nicht schlecht, aber für Pilzaficionados wie mich kommt der Höhepunkt ja erst...

Foto: Katharina Schell

Techno-Pilz: Eine Form zwischen Brustwarzenattrappe und Kinderpfeil-Saugnapf, im Geschmack eine jellyartige Pilz-Essenz. Sehr schön. Sehr intensiv. Danke.

Foto: Katharina Schell

Schon schön. Wo wir schon bei der Schönheit sind: Carme Ruscalleda malt uns mit Kabeljau-Brandade, schwarzen Oliven und teils koloriertem Paprika Mondrian nach. Lebensmittelfarbe setzt die Dame ganz gerne ein, scheint mir.

Foto: Katharina Schell

Sterne und Störe. Natürlich haben wir hier das beste Blini der Welt, von Buchweizen nach meiner Erinnerung keine Rede, eher Ei mit Ei auf einer schönen Zitronensauce. Natürlich wehrt sich der Fidler nicht, wenn er einen der besten Kaviarkleckse, die er je verputzte, vorgesetzt bekommt. Aber des Eindrucks kann er sich nicht ganz erwehren, dass da für eine bestimmte Klientel halt noch Kaviar sein musste.

Foto: Katharina Schell

Erste Erbsen, bestes Blut. Da freut sich der Fidler schon weit mehr über die feinste, beste, cremigste Blutwurst seines Lebens, hausgemacht bei Ruscalledas. Ganz besonders, wenn sie auf "den ersten Erbsen" zu liegen kommt, die auch wirklich sehr fein waren. Nur: Unsere ersten hatten wir an dem Tag ja schon im Alkimia verputzt. Aber da wollen wir nun wirklich nicht kleinlich sein.

Und mit diesem Gang wird's jetzt auch richtig, richtig schön.

Foto: Katharina Schell

Frittierte Garnelenbeine freuen uns in Sant Pol wie tags darauf in Girona bei Can Roca. Hier kommen die Garnelen mit Artischocken - und zählen definitiv zu den allerallerbesten meines Lebens. Yeah!

Foto: Katharina Schell

Saison hat auch die Rotbarbe gerade in Katalonien, zwischen Sant Pol und Girona, zwischen Ruscalleda und Can Roca. Die drüben wird noch einen Schritt wower sein, aber die hiesige mit Espigall (wenn ich das jetzt richtig ergoogelt habe, ein katalanisches Kraut), Safran und einem "spicy tonic" war schon sehr, sehr erfreulich.

Foto: Katharina Schell

Der definitiv beste Hirsch meines Lebens liegt hier in Gestalt seines praktisch rohen, wunderweichen Filets und in Begleitung von getrockneten und confierten Früchten. Trotzdem: Spannender war ...

Foto: Katharina Schell

Die Sau, präziser: ihre Füße. Mit Mandeln, Rucola und Tatsoi. Kräftig, intensiv, lang, aber nicht unangenehm anhaltend, schlüssig und einfach schweinisch gut. Fand ich. Also, und das von mir wildem Hund: weit spannender als der Hirsch. Wenn auch nicht besser.

Foto: Katharina Schell

Relativ unspektakulär fand ich ja den Käse. Or Blanc von Pla de Corronculi aus El Pont de Suert, entnehme ich dem praktischen Beipacktext. Woran erinnert uns der bloß mit seinen Zeichnungen - womöglich an manche Speisenbeschreibung im Steirereck gar?

Foto: Harald Fidler

So ein Käse: Der Käse wird jedenfalls aus Rohmilch vom Schaf gemacht, unserer reifte zehn Monate ab Februar/März 2011. Birne im einen oder anderen Zustand, katalanischer Kräuterlikör (Ratafia) dürfen mitspielen. Hab ich gesagt, unspektakulär? Moment ...

Foto: Katharina Schell

Das Eis aus Käse ("de corte", sagt der Beipacktext) gefällt mir schon sehr gut, noch ein Kandidat für die Entthronung des Steiereckschen Sauermilchsorbets. Can Roca wird auch diesen Kandidaten am nächsten Tag hinter sich lassen - wie Sie gewiss schon wissen.

Foto: Katharina Schell

Wunderschön kommt nach einer "erfrischenden Infusion" vor dem Dessert auch schon eine Nachspeis daher, die sich Perlmutt nennt und mit Passionsfrucht, Kokosnuss, Vanille und Cayenne erfreulich unsüß ausfällt. Bin ziemlich begeistert, bis ...

Foto: Katharina Schell

Als Ruscalleda rumschwamm: Mandel-Karamel-Turron (Guirlache), ein "Rumschwamm" und - Schokoladeneis. Bitteschön, was ist das Blaue, frage ich unsere (Deutsch sprechende) Betreuerin. Farbstoff, sagt sie. Wozu?, frage ich mich und finde den Farbeinsatz ein bisschen albern. Aber vermutlich hab ich da wieder was nicht verstanden.

Foto: Katharina Schell

Beleidigt bin ich deshalb noch lange nicht, aber einfach der Süßigkeiten wieder überdrüssig. Was die übrigen drei Schmeck's-Expeditionsteilnehmer freut im Angesicht der petits fours, vom Himbeercrumble bis zum Rum-Financier, vom Almendras mit Schokolade und rosa Piment, vom Schoko-Marillen-Bonbon, von einer etwas anderen Schokobanane, vom Kakaoblätterteig mit Engelshaar bis zu einem Würfelchen, das ich Dilettant nur mit Magen-Gummibär übersetzen könnte und deshalb lieber unübersetzt lasse: Gominola de estomacal. Vielleicht ja Magenbitter, muss mal die Kollegen fragen.

Sie ahnen schon, wie ich den Abend resümiere: Die werten Mitesser haben klug geplant, Sant Pau vor El Celler de Can Roca zu setzen. Umgekehrt wär ich vielleicht bei Frau Ruscalleda ein bisschen enttäuscht gewesen. So war ich schon ziemlich glücklich.

Sant Pau / Sant Pol de Mar / Katalonien
Großes Menü 140 Euro, mit Wein, Wasser, Kaffee pro Kopf 241,25 Euro

Foto: Katharina Schell