Klara (19) und Johanna Söderberg (21) alias First Aid Kit machen Folkmusik für junge Leute von heute.

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Klara und Johanna Söderberg sind zwei schwedische Schwestern. Sie sorgen derzeit mit glockenhellen Stimmen nicht nur für Furore in jenem schier unerschöpflichen Markt, der sich der sensiblen Songwritingkunst auf akustischer Basis annimmt. Mit ihren auf jeden Fall forschen, jedoch gleichzeitig der Melancholie zuneigenden Liedern stehen sie auch für ein gesellschaftliches Segment junger Leute, die sich enttäuscht vom allgemeinen Drang nach Glück, Wohlstand und Umwelt- wie Kapitalmarktzerstörung von den großen Städten abwenden. Sie flüchten sich in die vermeintliche ländliche Idylle. Dort lebt man nicht nur halbwegs unbelästigt vom üblichen kapitalistischen Laufrad und Gewinnstreben zufrieden mit sich und seiner Akustikgitarre. Man lässt sich die Haare wachsen und baut seine Holzhäuser in Passivbauweise. Auch sonst ist bis auf Verkaufsfahrten zu lokalen Bauernmärkten am Wochenende, auf denen man Gemüse aus eigenem Anbau oder Wollsocken verkauft, alles eitel Wonne. So viel Klischee muss am Ende der Utopie vom besseren Leben, das man trotz dem falschen führen könnte, sein.

Die Winter weit draußen vor den Toren der Stadt sind zwar hart, düster und langweilig, aber jedes Jahr im Frühjahr geht die Sonne auf. Und nach der Zeit der Aussaat kann man auch kurz auf Tournee gehen und der Welt vorgaukeln, dass sie in ihren Nischen durchaus dazu in der Lage ist, eine heile zu sein. Das erzählt man gern mit zweistimmigem Harmoniegesang.

First Aid Kit, der Name sagt es, sind Lebensretterinnen und geben den Verzagten Hoffnung. Das kann mitunter auch ganz schön bitter werden, etwa wenn die Söderbergs in The Lion's Roar, dem Titelsong ihres neuen Albums, von der Feigheit und der Gleichgültigkeit gegenüber der Ungerechtkeit und so weiter singen und damit auch ihre Boyfriends meinen. Eigentlich leben die Schwestern, wie sich in Emmylou, einer Hommage auf die US-amerikanische Countrysängerin Emmylou Harris herausstellt, auch gar nicht auf dem Land, sondern sitzen im winterlichen Stockholm fest. Stockholm ist eine Stadt, die auf einer Bewertungsskala von eins bis zehn dank ihres gefühlt dreiwöchigen Sommers, Abba, Army of Lovers und sehr viel Grüninseln zwischen dem Wasser gerade einmal auf vier Punkte kommt, weil es immerhin gute Fastfoodgerichte auf Fischbasis gibt.

Flucht als Ausweg und letzte Chance, die Idylle auf dem Land bleibt im Schlummerland gefangen. First Aid Kit ziehen sich trotzdem ihre Hippiemädchenkleider über und beschwören unter Berücksichtigung stark und selbstbewusst sowie gesanglich sehr forciert vorgetragener Ängste und Fürchte zumindest die Möglichkeit einer Verbesserung.

Das irrlichtert zwischen Altvorderen wie Mazzy Star, der frühen Joni Mitchell, ein wenig Mamas & Papas und jeder Menge Folkrock aus den 1960er-Jahren herum, damals als die jungen rebellischen Leute eben auch die scheinbar stockkonservative Countrymusik entdeckten. Landbau braucht das Konservative und sehr viel Geduld wie das Regenwasser. Sehr oft kippen die Stimmen in den Höhen wie bei Cowgirl Emmylou Harris. Die Welt ist gut. Sie ist noch nicht an ihrem Ende. Wem aktuell die Folkrockgötter Fleet Foxes gefallen, Leute, hier habt ihr die weibliche Entsprechung.  (Christian Schachinger  / DER STANDARD, Printausgabe, 3.2.2012)