Cover/Verlag
Am 21. Juni wird die lange erwartete englischsprachige Ausgabe von Band 5 der Harry-Potter-Serie, "Harry Potter and the Order of The Phoenix" weltweit erscheinen. Mit einer Startauflage von 13 Millionen Exemplaren.


London/Wien - Längst haben die St. Mary's Church oder das alte Schloss ausgedient als Hauptattraktionen der 5000-Seelen-Gemeinde Bungay im britischen Suffolk, 100 Meilen von London entfernt.

Seit Monaten hütet Bungay einen weit attraktiveren Schatz: In den Hallen der Druckerei Clay laufen die Maschinen heiß - rund 1,92 Milliarden Seiten werden unter verschärften Sicherheitsvorrichtungen von den 300 Angestellten des Unternehmens bedruckt mit jenen Sätzen, über deren möglichen Inhalt eine aufgeregte Lesergemeinde heiß spekuliert.

Anders formuliert: Clay druckt die 2,5 Millionen Exemplare der britischen Ausgabe des (nach jüngsten Angaben) 768 Seiten und 38 Kapitel starken Harry Potter and the Order of the Phoenix, das auf der Insider-Homepage bereits unter dem Kürzel OP firmiert.

Noch hält die King-James-Bibel Rang eins in der Liste der Bestseller aller Zeiten. Hält der Verkauf von Harry Potter 5 aber, was erste Prognosen versprechen, könnte er die Heilige Schrift in einigen Jahren eingeholt haben.

Vorerst jedoch läuft der Countdown für den Erstverkaufstag des englischen Hardcover-Originals: im wahrsten Sinn des Wortes. Bloomsbury, der britische Verleger, hat eine Uhr auf seiner Homepage installiert, die Sekunde für Sekunde die Zeit angibt, die die Leser noch auf die Stunde Null des nächsten Lese-Marathons zu warten haben.

Neun Tage sind es noch - bis sich am Samstag, dem 21. Juni, Schlag Mitternacht, die Pforten der Buchläden und Supermärkte auftun.

Auch in Österreich wird die heiße Ware dann auf dem Ladentisch liegen - allerdings erst rund neun Stunden später, des Ladenschluss-Gesetzes wegen. - Doch nicht nur hierzulande, auch in den USA, in Australien und in Asien ist der 21. Juni in diesem Jahr für viele weniger Sommerbeginn als Potter's Day.


Logistische Probleme

Neben den 2,5 Millionen Kopien des britischen Verlegers druckt sein US-Pendant Scholastic 8,5 Millionen, die kanadischen Raincoast Books weitere 935.000 - auf 100 Prozent Recycling-Papier, wie es sich Potter-Autorin Joanne K. Rowling gewünscht hat. Insgesamt 13 Millionen Exemplare beträgt die Gesamt-Erstauflage des Buches, deren Großteil binnen weniger Stunden an das ausgehungerte Lesevolk gebracht werden soll.

Ein Vorgang, der die Beteiligten momentan vor logistische Probleme stellt. Trotz der weitsichtigen Entscheidung für Dünndruck-Papier wiegt der Buch-Klotz knapp ein Kilogramm - ein Gewicht, das nicht nur die Arme der kindlichen Leser vor eine Kraftprobe stellt - sondern auch die Briefträger der Royal Mail, die noch am Samstag-Morgen rund eine halbe Million Exemplare in die britischen Haushalte tragen sollen. Seit längerem beschäftigt sich die Royal Mail daher mit Kalkulationen, wie viele Bände einem einzigen Briefboten zuzumuten sind - zumal er sie vielleicht wieder zurücktragen muss, denn die Klötze sind zu dick für die Briefkästen.

Auch hierzulande werden es nicht wenige sein, die das Buch per Post erhalten. Der Internet-Versand Amazon meldete bereits vor Monaten, Harry Potter 5 werde der meistbestellte Artikel der bisherigen Unternehmensgeschichte. Schon heute gibt es knapp eine Million Vorbuchungen auf den Band.

Ein Umstand, der nicht zuletzt auf den Preiskampf zurückzuführen ist, den sich der Handel liefert. Bis zuletzt befinden sich etwa die österreichischen Buchläden im Unklaren darüber, zu welchem Preis sie Harry Potter 5 verkaufen werden. Internet-Händler bieten den Titel um bis zu 55 Prozent unter dem ursprünglichen Ladenpreis an.

In England, wo die Preisbindung aufgehoben ist, läuft das große Geschäft mit dem Auflagen-Zauberer an den Sortiments-Buchhandlungen vorbei. Große Supermärkte sind die Hauptkunden des Verlags. Dort werden um Mitternacht die Angestellten, verkleidet als Zauberer, an den Kassen sitzen und das Buch zu Preisen feilbieten, die unter jenen des Einkaufs liegen. Statt der offiziellen 16,99 Pfund wird Harry Potter 5 um deren 7,64 verschleudert.

Den Verleger freut's. Und er plant schon den nächsten finanziellen Coup: Fünf Tage nach dem Potter's Day beruft Bloomsbury eine außerordentliche Versammlung der Aktionäre ein, um mit deren Zustimmung die 17 Millionen Aktien aufzuspalten. Aus eins mach' vier: So wird eine Bloomsbury-Aktie künftig statt bisher 8,95 Pfund nur maximal 2,50 Pfund kosten: Damit sich auch der Nachwuchs-Leser seinen Teil am Hogwarth-Reich leisten kann - und den Direktoren, denen Optionen auf acht Millionen Aktien zustehen, auch dann das Lachen nicht vergeht, wenn die Potter-Welt in Angst und Schrecken versinkt.


Harry und der Tod

Denn in Harry Potter 5 wird der Titelheld einmal mehr "erforschen müssen, was ,Tod' heißt", so Joanne K. Rowling in einem ihrer wenigen kryptischen Interviews zum ansonsten bestgehüteten Geheimnis der Zauberwelt. Selbst Klaus Fritz, der verdiente Übersetzer der deutschen Ausgabe, soll den Inhalt seiner nächsten Arbeitsmonate erst am 21. Juni einsehen dürfen. Dann startet er seinen Übertragungs-Marathon, damit pünktlich am Stichtag 8. November auch die rund 1,5 Millionen Exemplare der deutschen Ausgabe in die Regale des Buchhandels kommen - rechtzeitig für das Weihnachts-Geschäft.

(Cornelia Niedermeier/DER STANDARD; Printausgabe, 11.06.2003)