Das Foto einer Brücke am Stadtrand von Sarajevo von Nebojša Šerić Shoba war titelgebend für die Schau im Kunstverein Rotor: "Seid realistisch, fordert das Unmögliche!"

Foto: Nebojsa Seric Shoba

Mit Synergien in der Organisation und vier starken Ausstellungen.

Graz - Mit einem Reigen von Ausstellungseröffnungen starteten vier Institutionen für bildende Kunst und Fotografie in Graz am Freitag ins neue Jahr: Der Grazer Kunstverein mit feinen multimedialen Arbeiten der Berlinerin Judith Hopf, die mit der Schau end rhymes and openings elegant an Grenzen von Logik, Raum und Kulturen dahinschreitet, die Camera Austria mit The Urban Cultures of Global Prayers über den Einfluss von Religionen auf das Leben der Menschen weltweit, der Kunstverein Medienturm mit neuen Arbeiten von Bernhard Frue und schließlich der Rotor mit einer Kooperation von Künstlern und Kuratoren aus Graz und Sarajevo. Gemeinsam hatte man die Ausstellungen beworben, gemeinsam auch einen Shuttlebus am Eröffnungsabend von Wien nach Graz geschickt.

Das alte Jahre endete mit einem Protest fast aller Kunstinstitutionen gegen die unstete Kulturpolitik der Stadt sowie ungleich aufgeteilte Mittel zwischen dem Universalmuseum Joanneum und der restlichen Szene. Seid realistisch, fordert das Unmögliche! ist in diesem Zusammenhang der ermunternde Titel der Ausstellung im Rotor, für die u. a. das Künstlerduo Zweintopf, Markus Wilfling oder die Comiczeichner Amir Idrizović, Edda Strobl und Helmut Kaplan Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier Städte von ähnlicher Größe kommentierten. Man suchte in Graz und Sarajevo persönliche und kollektive Erinnerungen, vergessene Geschichten, aber auch Ideen dazu, wie das gemeinsame Leben in städtischen Gefügen künftig aussehen könnte.

Erinnerungen kleben für viele Menschen an Gegenständen. Jusuf Hadžifejzović sammelt seit 1984 skurrile Dinge auf Flohmärkten oder in Geschäften und errichtete kleine Depots. Im Rotor hat er Teile davon zu einer Installation angeordnet, die viel Witz hat und doch auch traurig stimmt, weil sie Vergänglichkeit assoziiert. Edin Numankadić baute seine Installation aus alten Kästchen, einem Vogelkäfig, aber auch darin platzierten Zitaten - etwa von Walter Benjamin oder Hermann Broch -, weil diese ihn währen der Belagerung seiner Stadt begleitet haben.

Andreas Heller grub für ein Buchprojekt mit dem Forum Stadtpark die Geschichte einer anarchistischen Arbeitsgemeinschaft und Genossenschaft aus, die ab 1931 in Graz wirkte: die "Argenot". Ihr setzte er auf einer Anhöhe in Graz ein fiktives Monument. Richard Kriesche blickt in seiner googlesculpture in die jüngere Grazer Geschichte: Im Jahr 2005, als der Grazer Gemeinderat die Ehrenbürgerschaft von Arnold Schwarzenegger hinterfragte, weil dieser einen zum Tode Verurteilten nicht begnadigte, verglich Kriesche die Treffer in der Suchmaschine Google zum Grazer Gemeinderat und zu Schwarzenegger: 154.000 zu 19,9 Millionen. Er baute sie als Leuchtkästen in diesem Größenverhältnis nach.

Im Kunstverein Medienturm präsentiert Bernhard Frue sein Phesbuk, das laut ausgesprochen nicht zufällig an ein "Gesichtsbuch" erinnert. Frue sammelte tausende Gesichter aus Zeitschriften und Magazinen. Teilweise überkritzelte er sie, teilweise kreiste er so lange mit dem Kugelschreiber um die Köpfe, bis das Papier riss und sie freigab. Gesammelt und in schwarzem Leder gebunden, wurden sie zu einem Buch über die - vielleicht unmöglich gewordene - Suche nach Identität und Privatsphäre. In filmischen Arbeiten konfrontierte Frue Hühner und Katzen in Spiegelboxen mit sich selbst: Das Huhn beginnt sich zu gefallen, die Katze flieht.

Glaube als Spektakel

In der Camera Austria zeigen unter anderem Sabine Bitter und Helmut Weber in einer dokumentarischen Foto- und Filmarbeit anhand einer monströsen Riesenkirche in Lagos, wie Religionen gleich mächtigen Konzernen Leerstellen in einer Gesellschaft ausfüllen können. Glaube wird zum Spektakel. Welche gesellschaftliche Funktion und Macht auch etwa der Islam in Teilen der Welt spielt, untersuchten Sevgi Ortaç in Istanbul oder Paola Yacoubs in Beirut. The Urban Cultures of Global Prayers war bereits in Berlin zu sehen. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD - Printausgabe, 31. Jänner 2012)