Am Patient Gesundheitssystem soll in nächster Zeit ordentlich herumgedoktert werden: 1,8 Milliarden Euro Sparpotenzial sind drin - hat zumindest die ÖVP errechnet.

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Wien - Seit die ÖVP die Zahl ventiliert hat, geistert sie durch alle Spar-Gespräche: 1,8 Milliarden Euro, so haben die Schwarzen errechnet, sollen im Gesundheitssystem zu holen sein. Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich freilich auch, es handle sich hierbei um eine zu einfache Rechnung. Denn die 1,8 Milliarden ergeben sich, wenn man die Steigerung der Ausgaben im Gesundheitssystem auf dasselbe Niveau bringen würde wie die Steigerung des Bruttoinlandsproduktes; mit konkreten Maßnahmen sollen sie aber (bisher) nicht unterlegt sein.

Noch ist die Suche nach dem Wunderheilmittel für das chronisch unreformierbare Gesundheitssystem im Gange. Dabei sind die Probleme längst identifiziert:

  • Systematische Doppelgleisigkeiten Es gibt in Österreich eigentlich zwei Gesundheitssysteme, den sogenannten extramuralen Bereich (niedergelassene Ärzte) und den intramuralen Bereich (Spitäler). Im ökonomischen Optimalfall sollten diese Systeme kommunizierende Gefäße sein, sprich: Die Leistung sollte dort erbracht werden, wo sie für das System am günstigsten ist. Diese Zusammenarbeit wird aber durch die Finanzierungs-Konstruktion behindert, denn während die Leistungen im extramuralen Bereich von den Kassen bezahlt werden, tragen die Länder das finanzielle Risiko für die Spitäler, die Kassen zahlen ein Fixum. Jeder Träger hat also ein vitales Interesse daran, dass der Patient möglichst vom anderen versorgt wird.

Das behindert etwa den Ausbau der extramuralen Versorgung an den Tagesrandzeiten oder an den Wochenenden, der den Spitalsambulanzen die dringend notwendige Entlastung bringen würde. Außerdem versickert an keiner anderen Schnittstelle so viel Geld: Laut einer Berechnung der Ärztekammer schlägt ein Patientenkontakt in einer Ambulanz mit 84 Euro zu Buche, in der Ordination sind es 25 Euro.

  • Macht der Länder Wolfgang Sobotka baut Krankenhäuser, Sonja Wehsely legt welche zusammen. Warum der niederösterreichische Finanzlandesrat und die Wiener Gesundheitsstadträtin das tun? Weil sie es können. Niemand zwingt die Länder zur Zusammenarbeit, das führt entlang aller Landesgrenzen zu Fehlplanungen. In einem Papier haben die Ländervertreter im Frühjahr 2011 zwar ihre Reformbereitschaft bekundet, allerdings nicht ohne festzuhalten, dass ein föderal organisiertes Gesundheitswesen "eine kostengünstige und qualitativ hoch wohnortnahe Versorgung" ermögliche.
  • Lautstarke Interessenvertreter Neben den Föderalisten sind die Ärztevertreter die lautstärkste Gruppe innerhalb des Gesundheitssystems. Aktuell mobilisieren sie gegen Elga, die Elektronische Gesundheitsakte. Die soll nicht nur die Kommunikation an den Schnittstellen ermöglichen, sondern dem System 170 Millionen Euro pro Jahr einsparen. Um Elga in ihrer geplanten Form zu verhindern, hat die Ärztekammer bereits einiges in die Waagschale geworfen; neben einer breiten Inseratenkampagne gibt es zahlreiche Veranstaltungen und eine Mitgliederbefragung, laut der 95 Prozent der Wiener Ärzte gegen Elga sind (34 Prozent der Kammermitglieder haben an der Befragung teilgenommen). Dass im Frühjahr Kammerwahlen sind, dürfte den Protestwillen der Funktionäre weiter beflügeln.

Lieblingsgegner der Ärzte ist derzeit Hauptverbandsvorsitzender Hansjörg Schelling, der auf Reformen drängt und mit den Kassen seinerseits mächtige Stakeholder im Rücken hat. Er weist gerne darauf hin, dass die (Gebiets-) Krankenkassen sich in den letzten Jahren reformiert und entschuldet hätten - mit finanzieller Unterstützung des Bundes.

  • Schwache Minister-Rolle Apropos Ärzte-Protest: Als 2008 die Mediziner wegen der Reformpläne von Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky (ÖVP) auf die Straße gingen, war das zwar nicht der Auslöser für ihre Ablöse, karriereförderlich waren die Demos aber nicht. Ihr Nachfolger Alois Stöger (SPÖ) gibt sich konzilianter. Seit er aber über die Ärztekammer die Aussage gewagt hat, es handle sich um einen "zerstrittenen Haufen", wird auch er zunehmend zum roten Tuch. Seine Job-Description ist ohnehin nicht einfach: Kaum ein Minister hat in seinem Ressort so wenig die Fäden in der Hand wie Stöger; die Kassen sind autonom, die Länder tun ohnehin, was sie wollen. Die Möglichkeiten des Ministers beschränken sich auf Leitlinien und Rahmengesetze - und den Versuch zu vermitteln.
  • Fehlende Prävention Zunehmend ins öffentliche Bewusstsein rückt die Tatsache, dass in Österreich in erster Linie auf Reparaturmedizin gesetzt wird. Nur 1,8 Prozent der öffentlichen Gesundheitsausgaben fließen in Prävention. Und während Österreich bei der Lebenserwartung top ist, liegt die Erwartung der gesunden Jahre mit 58,8 deutlich unter dem EU-Schnitt (61,5 Jahre). Anders gesagt: 22 Jahre lang ist das Leben des durchschnittlichen Österreichers von Krankheit oder Behinderung geprägt. (Andrea Heigl, DER STANDARD, Printausgabe, 31.1.2012)