Heidelberg - Glioblastome gelten als besonders aggressive Hirntumoren. Bei Kindern mit dieser Erkrankung entdeckten Heidelberger Wissenschafter Genveränderungen, die sich auf die Funktion der DNA-Verpackungsproteine auswirken: Diese sogenannten Histone dienen der Zelle als Spulen, auf die das Erbgut gewickelt wird. Gleichzeitig steuern diese Eiweiße die Genaktivität. Mutationen in Histon-Genen wurden bisher bei keiner anderen Erkrankung beobachtet. Die Wissenschafter des Deutschen Krebsforschungszentrums, des Universitätsklinikums Heidelberg und der kanadischen McGill-Universität veröffentlichten ihre Ergebnisse nun im Wissenschaftsjournal "Nature".

Glioblastome wachsen schnell in gesundes Hirngewebe ein und sind darüber hinaus hochgradig resistent gegenüber Strahlen- und Chemotherapie. Daher gelten sie als die bösartigsten aller Hirntumoren. Die heute verfügbaren Behandlungsverfahren können oft nur wenig gegen die Erkrankung ausrichten. An einem Glioblastom können Menschen jeden Alters erkranken, Kinder sind jedoch seltener als Erwachsene betroffen.

Erbgut-Entzifferung

Um die molekularen Vorgänge bei der Entstehung dieser Tumoren besser zu verstehen und dadurch neue Therapieansätze zu entwickeln, entzifferte ein internationales Forscherteam nun das Erbgut von 48 Glioblastomen bei Kindern. Die Federführung bei diesem Projekt hatte Stefan Pfister aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum und der Universitätskinderklinik Heidelberg gemeinsam mit Nada Jabado von der McGill-Universität im kanadischen Montreal.

Das Ergebnis: In beinahe jedem zweiten Fall entdeckten die Forscher Genveränderungen, die sich auf die Histone auswirken. Teils wiesen die Histon-Gene selbst die Veränderung auf, teils waren Gene für zwei weitere Proteine betroffen, die dabei mithelfen, die DNA auf die Histon-Spulen aufzuwickeln. Die Histon-Mutationen sind charakteristisch für die Tumoren im Kindesalter (36 Prozent), bei Glioblastomen erwachsener Patienten treten sie dagegen nur vereinzelt auf (drei Prozent), bei weniger aggressiven Hirntumoren gar nicht.

Hintergrund

Histone sind entwicklungsgeschichtlich gesehen uralte Proteine, die sich bei Mensch, Maus oder Fadenwurm kaum voneinander unterscheiden. Bis vor wenigen Jahren hielt man sie für reines Verpackungsmaterial der DNA: Inzwischen ist aber bekannt, dass sie darüber hinaus entscheiden, welche Gene abgelesen werden und welche nicht; damit greifen sie in die Steuerung der Zellfunktion ein. Eine Vielzahl chemischer Markierungen an bestimmten Positionen des Histons entscheidet darüber, ob ein Gen zugänglich ist oder nicht.

"Die Mutationen, die wir entdeckt haben, betreffen besonders häufig solche Regionen des Histons, die die Genaktivität steuern. Tumorzellen mit Histon-Mutationen haben daher oft ein verändertes Genaktivitätsprofil", sagte der Kinderarzt und Molekularbiologe Pfister und erläuterte in einer Aussendung des DKFZ weiter: "Wir haben hier erstmals eine Histon-Mutation im Zusammenhang mit einer Erkrankung entdeckt. Ein einzelner kleiner Histon-Defekt kann umfassende Veränderungen der Genaktivität bewirken und darüber hinaus die Lebensspanne einer Zelle beeinflussen - beides zusammen kann zu Krebs führen."

Sogenannte epigenetische Therapien, die die chemischen Markierungen der Histone beeinflussen, werden bereits bei anderen Krebsarten erprobt. Die Ärzte und Wissenschafter in Pfisters Abteilung wollen nun prüfen, ob diese Medikamente auch gegen Glioblastome mit Histon-Defekten wirksam sein könnten. (APA)