Der Vorarlberger Hayri Can beginnt heute seinen Gedenkdienst in Istanbul.

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Kein Sprung ins kalte Wasser: Hayri Can war bereits im jüdischen Museum in Hohenems tätig und hat sich dort auf die türkischen Juden im Holocaust spezialisiert.

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Im jüdischen Or-Ahayim Krankenhaus in Istanbul tritt der Vorarlberger seinen Gedenkdienst an.

 

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Wien- Istanbul ist ein magischer Ort: Eine Stadt auf zwei Kontinenten, getrennt durch den Bosporus, umgeben vom Marmarameer. Ein Stadtbild voller Kuppeln, Türme, Minarette. Kein Zufall, dass der Vorarlberger Hayri Can (28) diesen Ort der geographischen und kulturellen Symbiose für seinen Gedenkdienst gewählt hat. Hayri Can hat sich gegen das Bundesheer entschieden und für eine große Herausforderung. Als erster Österreicher wird er den Gedenkdienst - ein österreichischer Wehrersatzdienst - in Istanbul antreten, um sich dort in einem jüdischen Krankenhaus mit der Geschichte der türkischen Juden auseinanderzusetzen.

Hayri Can ist Österreicher mit türkischen Wurzeln. 1972 kam sein Großvater als Gastarbeiter nach Österreich. 1976 wanderte sein Vater,1981 seine Mutter nach Österreich aus. Can ist in Österreich geboren und hat in Schwarzach, in Vorarlberg, seine Kindheit verbracht. „Es ist unsere Heimat", sagt Can, der auch Jus in Innsbruck studiert. Nach der Matura hat er gleich mit dem Studium begonnen und den Zivildienst verschoben. "Ich bin froh darüber, denn sonst hätte ich mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Gedenkdienst gemacht, da ich die Alternative zum ordentlichen Zivildienst gar nicht kannte", sagt er. „Die Nazizeit ist ein Teil der Geschichte Österreichs und Deutschlands. Ich bin ein Teil der Gesellschaft und deswegen muss ich mich auch dafür verantworten, was diese Gesellschaft gemacht hat", erklärt Can. Er ist seit Mitte Dezember vor Ort und tritt heute seinen Dienst im jüdischen Krankenhaus an.

Neue Gedenkdienststelle im jüdischen Krankenhaus

Beim Gedenkdienst handelt sich um einen österreichischen Wehrersatzdienst, der mindestens zwölf Monate im Ausland absolviert wird, hauptsächlich in Holocaust-Gedenkstätten. Seit diesem Jahr gibt es eine neue Stelle für den österreichischen Auslandsdienst: Das jüdische Or-ahayim Hospital in Istanbul. „Or-ahayim" bedeutet „Licht des Lebens" und wurde von einigen Ärzten als kleines Krankenhaus gegründet. Die Geschichte des Krankenhauses ist 114 Jahre alt. Es existierte bereits im osmanischen Reich als Stiftung. 1920 begann dann das moderne Krankenhauswesen.

1992 trat der erste Gedenkdiener im Museum Auschwitz-Birkenau  seinen Dienst an. „Am Anfang war es nicht einfach, weil sich Österreich als Opfer definiert hat", erklärt der Initiator des österreichischen Gedenkdienstes, Andreas Maislinger. "Erst nach der Rede von Vranitzky 1991, in der erstmals die Mitschuld Österreichs an der Shoa öffentlich erklärt wurde, hat zaghaft ein Umdenken stattgefunden. Eine Gedenkdienststelle in Istanbul einzurichten, ist Maislingers langgehegter Traum. Mit Hayri Can wird dieser Traum nun endlich Wirklichkeit. 


Wenige Türken wissen über Holocaust Bescheid

In Österreich hat Can bereits im jüdischen Museum in Hohenems gearbeitet und dort viele Führungen in Deutsch und Türkisch geleitet. Die Erforschung der Rolle der Türkei während des Nationalsozialismus, Öffentlichkeitsarbeit, Kontaktaufnahme und Interviews mit Zeitzeugen stehen neben vielen anderen Aufgaben am Plan des jungen Österreichers. „Hier in der Türkei wissen nur die wenigsten über den Holocaust Bescheid", so Can. Er selbst plane eine Ausstellung über den Holocaust, damit vor allem Schüler und Studenten in Istanbul eine Ahnung davon bekommen, was damals passiert ist.

"Juden und Türken lebten tausende Jahre lang in Frieden", erzählt Hayri Can."Weder im osmanischen Reich noch in der Republik Türkei gab es gegen Juden Pogrome. Jedoch mit der Einfuhr des Vermögensteuergesetzes in den 40er Jahren verließen einige Juden die Türkei." Die türkische Republik verbot bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, ausländischen Juden Visa zu erteilen. Einige türkische Diplomaten umgingen dieses Dekret indem sie zahlreichen Juden die türkische Staatsbürgerschaft verliehen, um sie vor den Konzentrationslagern zu retteten.

Mehrmals sei Hayri Can bereits gefragt worden, wie es dazu kommt, dass ein Moslem einen Gedenkdienst zum Thema Juden antreten möchte. "Der Holocaust ist ein Anschlag auf die Menschheit, da Menschen aufgrund ihrer Herkunft,Rasse, Religion oder Gesundheit ermordet wurden", so Can. "Ganz gleich ob Muslime, Christen, Juden oder Atheisten. Jeder sollte aus Liebe zum Menschen zumindest einen kleinen Beitrag leisten, damit die nächste Generation dies nicht vergisst."

Wie ist es Hayri Can bisher ergangen? „Sehr viele schätzen, dass ich da bin und etwas über den Holocaust machen will", erklärt Can. „Sei es ein Jude oder ein Moslem." Von vielen Türken sei er schon gefragt worden, wieso er keinen Militäranzug trage. In der Türkei gibt es nämlich keinen Zivildienst. „Es war erst vor kurzem die Rede von einem Zivildienst in der Türkei. Die meisten finden das toll", sagt Hayri Can.

Juden können in Istanbul ihre Religion gut ausüben

Der Vorarlberger hat auch schon einige Juden in Istanbul kennengelernt. „Sie sind sehr zufrieden hier. Sie können ihre Religion gut ausüben, es gibt viele Synagogen und sie werden in der Öffentlichkeit nicht diskriminiert." Ein kultureller Unterschied zwischen Türken und Österreichern sei schon vorhanden, sagt Hayri Can. „Beim Fortgehen bin ich oft mit Leuten unterwegs, die auch aus dem Ausland kommen. Das hätte ich mir vorher nicht gedacht. Aber wir verstehen uns einfach besser." Zwölf Monate hat Hayri Can Zeit, seine Projekte im jüdischen Krankenhaus umzusetzen. „Wenn ich nach Österreich zurückkomme, werde ich wieder im Jüdischen Museum in Hohenems tätig sein. Das Museum bedeutet mir sehr viel." (wik, derStandard.at, 1.2.2012)