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Prock: "In der Schule musst du nur durchkommen. Aber du musst nicht Erster, Zweiter oder Dritter werden. Im Leistungssport zählt nur der Erfolg."

Foto: dapd/Joensson

Standard: Ihr Neffe Gregor Schlierenzauer, den Sie managen, legt im Weltcup eine Pause ein. Täuscht der Eindruck, oder hat er sie sehr dringend nötig?

Prock: Die Vierschanzentournee, die er unbedingt gewinnen wollte und gewonnen hat, und das Skifliegen am Kulm, die Geschichte mit dem gerissenen Reißverschluss - das war mental schon alles sehr anstrengend.

Standard: Wie schmal ist der Grat zur mentalen Überbelastung?

Prock: Solange du Erfolg hast, ist er breit genug. Aber das Schwert ist zweischneidig. Erfolg ist eine tolle Sache, und jeder Sportler hat das Ziel, ein Idol zu werden, Nummer eins zu sein. Auf der anderen Seite bringt der Erfolg enorm viel Rummel mit sich, das ist das zusätzliche Paket, das man bewältigen muss, soll und darf.

Standard: Schlierenzauer, seit kurzem 22, hat fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Ihre 16-jährige Tochter Nina rodelte bei den Olympischen Jugendspielen auf Rang vier. Werden Sportler schneller erwachsen?

Prock: Wohl. Sie müssen schneller erwachsen werden als andere. Ich weiß noch, wie wir überlegt haben, ob wir den Gregor mit 15 Jahren allein nach Oslo fliegen lassen können, weil er einmal umsteigen musste. Und auf einmal gibt er Interviews auf Englisch, du stehst daneben und merkst, wie er sich entwickelt hat. Natürlich spielt Druck eine Rolle. Der vierte Platz von Nina bei den Jugendspielen war toll. Aber eine halbe Stunde nach dem Rennen ist sie zu mir gekommen und hat gesagt: Papa, ich bin so froh, dass alles vorbei ist.

Standard: Verzichten junge Spitzensportler nicht auf einen wichtigen Teil ihrer Entwicklung, ihrer Jugend? Bleibt nicht zu früh jede Unbeschwertheit auf der Strecke?

Prock: Der Gregor hat mit 16 schon gewonnen. Ausgehen und Gasgeben hat sich kaum abgespielt. Stams bedeutet Schule, Training, Schule, Training, Schule, Training. Bis vier Uhr früh weggehen, das gab es nie. Aber auch ohne den Sport tät der Gregor nicht abfeiern bis in die Früh. Der ist kein Partytiger, der weiß immer, wo vorne und hinten ist.

Standard: Dafür verdient er gutes Geld.

Prock: Und er hat sein Hobby zu seinem Beruf gemacht. Er kann reisen, er kommt herum. Mit dem Privatflugzeug von Red Bull zu einem Wettkampf fliegen - wer kann das sonst? Junge Spitzensportler sehen sehr viel von der Welt, während andere Jugendliche mit ihren Eltern auf Urlaub fahren und mit 18 vielleicht zum ersten Mal mit der Freundin.

Standard: Oft heißt es, der Sport sei eine gute, wenn nicht gar die beste Lebensschule. Worin besteht diese Schule?

Prock: Im Leistungssport zählt nur der Erfolg, und du musst zu hundert Prozent dein Ziel verfolgen. Das ist anders als in der Schule, dort musst du nur durchkommen, aber du musst nicht Erster, Zweiter oder Dritter werden. Im Leistungssport lernst du vor allem auch das Verlieren.

Standard: Welche Werte kann der Spitzensport einem jungen Menschen vermitteln?

Prock: Zielstrebigkeit und Konsequenz. Talent haben viele, Ehrgeiz auch, aber wirklich besessen sind nur wenige. Bei einem Skispringen will jeder gewinnen, der oben auf dem Balken sitzt. Aber am 22. Juni, wenn Party ist, gibt es wenige, die daran denken, dass sie im Winter wieder oben auf dem Balken sitzen werden. Ich hab ja nichts gegen ein kleines Bier, aber nach dem zweiten muss Schluss sein.

Standard: Und diese unbedingte Fokussierung auf ein Ziel ist auch im späteren Leben unabdingbar?

Prock: Grundsätzlich kommen die Beißer weiter als andere, auch in der Wirtschaft, in vielen Bereichen. Der Druck, das ganze Theater im positiven Sinn, das kann in jedem Beruf so sein. Veranstaltungen wie die Jugendspiele sind sicher eine Schule fürs weitere Leben. Da haben sie gesehen, was los ist. Und dass es zur Sache geht, wenn man etwas erreichen will.

Standard: Wird da nicht automatisch zu viel Druck aufgebaut?

Prock: Druck zu verspüren ist prinzipiell positiv. Aber natürlich muss man die Kirche im Dorf lassen. Man muss jungen Sportlern auch sagen, dass keine Welt zusammenbricht, wenn sie Fehler machen, wenn sie nicht gewinnen, oder wenn sie sich vielleicht gar nicht qualifiziert haben.

Standard: Viele junge Sportler dreschen Phrasen. Verbände und Vereine organisieren Medienschulungen, die gab's auch für Teilnehmer der Jugendspiele. Wo bleibt da die Authentizität?

Prock: So schlimm ist es ja nicht mit den Medienschulungen. Da kriegen sie eher generell zu hören, dass sie beispielsweise laut und deutlich sprechen sollen. Oder dass sie bei einer politischen Frage vielleicht eher ausweichen sollen. Der Gregor hat sich immer gut verkauft, und er hatte nie haufenweise Medienschulungen. Ich hab ihm gesagt, er soll es so halten, wie ich es immer gehalten habe. Im Interview ganz normal reden, wie mit einem Freund, aber halt die Kraftausdrücke weglassen.

Standard: Junge Sportler sind oft Teil eines Systems, eines Verbands, einer Organisation. Die meisten passen sich an, wenige ecken an.

Prock: Das ist wie in einer Firma, da musst du auch schauen, dass du mit dem Chef auskommst, sonst hast du's schwer. Ich sag dem Gregor immer, er kann schon was anleiern, wenn ihm etwas nicht passt. Aber das darf nicht zu viel Energie kosten, die fehlt einem sonst im Wettkampf.

Standard: Inwieweit kann das Wissen, bereits ausgesorgt zu haben, einen 22-Jährigen verändern?

Prock: Solange er Sport betreibt, ist Geld kein Thema. Aber es ist gut, dass Sportler mehr verdienen als früher. Sonst stehen alle mit 35, wenn sie aufhören, bei null da. In dem Alter haben Nicht-Sportler schon 15 Jahre an ihrer Karriere gebastelt. Echt ausgesorgt haben ja nur wenige - zehn Skifahrer, drei Skispringer, einige Fußballer.

Standard: Im Rodeln wird kaum jemand reich werden.

Prock: Ich hatte nicht ausgesorgt, aber eine Basis, um mir etwas aufzubauen. Ich habe gut verdient, besser als alle Rodler vor mir, besser als alle danach. Am wichtigsten für junge Sportler ist sowieso die schulische Ausbildung. Als er mit 16 und 17 Jahren schon Supersaisonen hatte, hat Gregor gefragt, wieso er zur Schule gehen muss. Ich hab gesagt, was wir anfangen, ziehen wir durch. Es kann immer etwas passieren. Eine schwere Verletzung - und plötzlich sieht alles ganz anders aus.(Fritz Neumann, DER STANDARD Printausgabe, 28./29. Jänner 2012)