Misstrauen soweit das Auge reicht.

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Nucky Thompson (Steve Buscemi) in "Boardwalk Empire".

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Und nochmals: Steve Buscemi.

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Wien - "Spielplatz der Welt" . Dieser Slogan steht auf der Werbetafel, mit der Atlantic City seine Besucher an der bescheidenen Stadteinfahrt begrüßt. Noch ist die Straße ins Vergnügungsparadies an der Ostküste einspurig: Wir befinden uns im Jahr 1920, am Beginn der Prohibition. Trotz oder eher wegen des Alkoholverbots boomt das verruchte Seebad südlich von New York.

Hauptverantwortlich dafür ist Enoch "Nucky" Thompson, der durch und durch korrupte republikanische Finanzstadtrat, der nicht nur die Geschäfte in Atlantic City kontrolliert. Nun soll mit dem illegalen Verkauf von Alkohol erst recht viel Geld gemacht werden: In den Worten Thompsons (Steve Buscemi): "Atlantic City wird so feucht bleiben wie die Möse einer Meerjungfrau."

Doch es ist nicht leicht, das verbotene Getränk in ausreichendem Maß zu beschaffen: Krumme Geschäfte mit Kriminellen werden unumgänglich, die vom Polizeichef der Stadt, Nuckys Bruder Elias, gedeckt werden. Doch die kriminelle Konkurrenz in New York und Chicago schläft ebenso wenig wie der Kriminalbeamte Nelson van Alden, der die Einhaltung des Alkoholverbots überwachsen soll.

Neue Maßstäbe

Das ist in groben Zügen die Grundkonstellation der US-Serie Boardwalk Empire, die neue Maßstäbe in der Fernsehunterhaltung setzt und deren erste Staffel ab sofort in Originalfassung (ab 10. Februar auch mit deutscher Synchronisation) auf DVD erhältlich ist. Die zweite Staffel wurde vom Pay-TV-Sender HBO Ende letzten Jahres die ausgestrahlt, und eine dritte ist längst in Vorbereitung.

Wer sich bei der Geschichte an die bislang erfolgreichste HBO-Serie Die Sopranos erinnert fühlt, liegt richtig. Der kreative Kopf hinter beiden Dramaserien ist Terence Winter, der für sein neues Meisterwerk auf Wunsch von HBO das Sachbuch Boardwalk Empire: The Birth, High Times, and Corruption of Atlantic City adaptierte. Doch während diese die postmoderne Verfallsgeschichte des organisierten Verbrechens am Beginn des 21. Jahrhunderts in New Jersey erzählen, rekonstruiert Boardwalk Empire seine um einiges glamouröseren Wurzeln - und zwar mit einem Produktionsaufwand, der in Sachen Ausstattung bis Distribution alles bisher im TV Dagewesene in den Schatten stellt und Fernsehen in jeden Hinsicht zu großem Kino macht.

Um Atlantic City anno 1920 originalgetreu wiedererstehen zu lassen, errichtete man als Set eine 100 Meter Strandpromenade in Brooklyn. Damit die kolportierten 18 Millionen Dollar allein für die Pilotepisode kein hinausgeschmissenes Geld sind, wurde die von Hollywood-Größe Martin Scorsese gedreht. Prompt war die erste Staffel bereits vor dem HBO-Start im Herbst 2010 in 160 Länder verkauft. Auch die fünf Millionen Produktionskosten pro knapp einstündiger Episode sind höher als üblich, und das sieht man den verblüffend authentischen Schauplätzen auch an.

Meisterhafte Milieustudien

Gespart wurde aber auch nicht bei der Drastik des explizit Gezeigten und der Komplexität der Handlung, die zugleich psychologisch und soziologisch meisterhafte Milieustudien einer durch und durch korrupten Gesellschaft liefert. Insbesondere in der zweiten Staffel (ab 29. Februar auf TNT Serie im Angebot des Abosenders Sky), in der sich die ehemaligen Partner gegen Nucky Thompson verschwören, stellt Boardwalk Empire dann aber auch überraschende zeithistorische Querbezüge her - etwa zwischen dem Alkoholschmuggel und dem irischen Kampf um die Unabhängigkeit oder zwischen dem Grauen des Ersten Weltkriegs und der Brutalisierung der späteren Großgangster. (Klaus Taschwer, DER STANDARD; Printausgabe, 28./29.1.2012)