Wien - Dass ein Sechsjähriger noch nichts über Gynäkologie weiß, ist altersgerecht. Muss ein Volksschüler allerdings zum Übersetzer in der Notaufnahme mutieren, wird der Umstand zum Problem. Wie in jenem Fall, als eine Türkin mit Unterbauchschmerzen in die Ambulanz kam.

Deutsch verstand die Frau kaum, der kleine Sohn sollte helfen. "Soll ich dem Kind im Schnellverfahren den weiblichen Zyklus erklären, um zu erfahren, wann seine Mutter die letzte Regel hatte?" , fragt sich Peter M., Notfallmediziner am Wiener AKH (Name der Redaktion bekannt).

Die Situation wiederhole sich, mit wechselnder Besetzung, täglich mehrfach. Etwa die Hälfte der bis zu 450 Patienten haben türkische oder exjugoslawische Wurzeln - einen eigenen Dolmetschdienst gibt es nicht.

Früher wurde das Reinigungspersonal hinzugezogen. Ähnlich wie bei der stillen Post war das Resultat jedoch oftmals grotesk, das Aushilfsdolmetschen ist mittlerweile verboten. Nicht ganz: Im Intranet am AKH gibt es eine Liste mit 80 Mitarbeitern, die zusammen 31 Sprachen abdecken. Die soll der Arzt anrufen. Aber: "Ich kann nicht ständig Kollegen von ihrer Arbeit wegholen" , sagt M.

Sprachbarrieren verursachen längere Wartezeit für alle, Mehrkosten für das AKH und Probleme in der Nachbehandlung. Viele Patienten verstünden die Überweisung oder Medikamentenverordnungen nicht. Peter M.: "70 Prozent unserer Arbeit verpufft."

Mit Wehwehchen ins Spital

"Wir sind keine Ordination" , begrüßt ein Aushang in der Anmeldung. Der Warteraum ist vor allem abends und am Wochenende gefüllt. Die Legende, Migranten würden besonders oft nach der Arbeit mit Leiden anrücken, die eigentlich der Hausarzt behandeln kann, wird von Ambulanz-Ärzten zum Teil bestätigt. Wegen prekärer Arbeitsbedingungen ist die Angst vor Jobverlust unter Migranten weit verbreitet.

Die so oft erzählte Geschichte der Muslimin mit Kopftuch, die auf die Untersuchung durch eine Frau besteht, entspreche "erstaunlich selten" der Realität. Lediglich in der Gynäkologie - dort sitzen auch die zwei einzigen hauptamtlichen Dolmetscher des AKH - käme das hin und wieder vor.

Kulturell bedingte Männerproblematik wiederum habe mehr Konfliktpotenzial. Etwa, wenn die Behandlungsmethode durch den 20-jährigen Sohn (der zum Übersetzen mitgekommen ist) verweigert wird, weil er sich innerfamiliär positionieren will. Der Wunsch nach Schulungen ist groß in der Ambulanz.

Auffällig viele Migranten leiden an Depressionen, die sie dem Arzt als "Ganzkörperschmerz" schildern. In der transkulturellen Psychiatrie-Ambulanz gibt es auch keine Dolmetscher. "Die Patienten müssen mit Freunden oder Familienmitgliedern zu uns kommen. Bei Kindern ist es fast Missbrauch, sie dafür einzuspannen" , sagt die Leiterin Andrea Topitz.

Dass Familienmitglieder mit in der Therapie sitzen, habe auch etwas für sich, argumentiert die Sprecherin des AKH, Karin Fehringer. Diese würden schließlich die Probleme ihrer Verwandten kennen. (Julia Herrnböck, DER STANDARD; Printausgabe, 26.1.2012)