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Michael Buhl: "In Schweden wurde 1984 eine Börsenumsatzsteuer eingeführt. Das hat dazu geführt, dass schlagartig die schwedischen Aktien nach London abgewandert sind."

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Wiens Börsenvostand Michael Buhl warnt bei einer Börsenumsatzsteuer vor einer Verlagerung des Handels an außerbörsliche Plätze. Der Aktienmarkt leidet jetzt schon unter der Wertpapiersteuer. Andreas Schnauder stellte die Fragen.

STANDARD: Berlin und Paris überlegen eine EU-weite Börsenumsatzsteuer. Wie sehen Sie die Folgen im Vergleich zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer?

Buhl: Ich würde sagen, es wäre katastrophal viel schlechter. Von dieser großen Idee einer Finanztransaktionssteuer weltweit und auf alle Produkte sind wir mittlerweile weit weg. Selbst ein Vorpreschen Europas wäre noch diskutabel, wenn, wie im EU-Vorschlag vorgesehen, Derivate grosso modo dabei sind und sowohl börslich als auch außerbörslich gehandelte Produkte erfasst werden. Jetzt wird der kleinste gemeinsame Nenner immer kleiner.

STANDARD: Was ist so schlimm daran? Die Schweiz und Großbritannien besteuern Börsenumsätze und sind attraktive Finanzplätze.

Buhl: Man kombiniert alle negativen Effekte und geht ausgerechnet auf die Börsen, die am transparentesten funktionieren. Damit lenkt man den Handel an andere Plätze, wo diese Transparenz nicht existiert. Zum Zweiten werden nur bestimmte Produkte, im wesentlichen Aktien, besteuert. Damit wird die Kapitalbeschaffung der Unternehmen eindeutig erschwert. Das ist für Europa mit seiner schwachen Eigenkapitalausstattung besonders negativ.

STANDARD: Wifo-Expertin Margit Schratzenstaller meint, dass die Steuer den Handel und damit nicht die Ausgabe von Aktien belastet.

Buhl: Das kann ich nur als ideologisch eingetrübt und vernebelt bezeichnen. Natürlich hängt der Erfolg der Kapitalaufbringung ganz wesentlich davon ab, ob nachher die Liquidität gegeben ist. Jeder Investor wird sich überlegen, eine Aktie bei einer Emission zu kaufen, wenn er weiß, dass er nur mit einer steuerlichen Belastung ver- oder zukaufen kann.

STANDARD: Sind das reine Vermutungen, oder gibt es dafür auch konkrete Beispiele?

Buhl: In Schweden wurde 1984 eine Börsenumsatzsteuer eingeführt. Das hat dazu geführt, dass schlagartig die schwedischen Aktien nach London abgewandert sind. Bis 1990 gingen 50 Prozent der Umsätze verloren, 1991 wurde die Steuer wieder abgeschafft. Dazu kommt, dass die Stamp Tax in Großbritannien ein Fleckerlteppich ist. Ausländische Aktien und Handel von Ausländern sind nicht betroffen. Einige Studien zeigen, dass die Kapitalbeschaffung für britische Unternehmen in einem gewissen Ausmaß beeinträchtigt ist. Dazu kommt, dass es Umgehungsprodukte gibt, wie die Certificates for Difference (CFD; Differenzkontrakt; Anm.). Das sind strukturierte Produkte, die auf die Kursdifferenz einer Aktie von einem Tag zum nächsten gehen und damit genau eine Aktie abbilden.

STANDARD: Könnte Wien eine Euro-Transaktionssteuer via Osteuropa-Beteiligungen umgehen?

Buhl: Selbstverständlich wird jeder überlegen, Beeinträchtigungen seines Geschäfts mit Ausweichmöglichkeiten zu verhindern. Allerdings müsste man sich die Details der Regelungen schon sehr genau anschauen.

STANDARD: Wien hat jetzt schon große Umsatzrückgänge, die auch mit der Wertpapiersteuer zu tun haben dürften. Ändern die letzten Verbesserungen etwas daran?

Buhl: Ein bisschen verbessert wurde die Regelung mit der Möglichkeit Verluste den Gewinnen gegenzurechnen. Aber der angerichtete Schaden ist nicht so schnell reparabel. Laut Angaben von Banken und Diskontbrokern sind Depots mit Millionen-, wenn nicht Milliardenbeträgen abgeflossen, insbesondere nach Deutschland. Die Gegenbewegung einzuleiten ist nicht ganz einfach. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.1.2012)