Konrad Becker, Mitinitiator der Gegenaktion zu "Kunst hat Recht".

Foto: STANDARD / Corn

Dieser Tage macht die Kulturindustrie wieder Stimmung, um ihre überholten Geschäftsmodelle noch ein paar Jahre absichern zu können. Dazu schickt sie verunsicherte Kulturschaffende vor, deren wirtschaftliche Lage tatsächlich meist sehr prekär ist. Unter dem Titel "Kunst hat Recht"  liest man etwa: "Die Lebensgrundlage der Kunstschaffenden ist bedroht!" Das stimmt, allerdings ist die geforderte Verschärfung der Urheberrechte das gänzlich falsche Mittel, dieser Bedrohung zu begegnen.

Das haben die letzten zwei Jahrzehnte deutlich gezeigt. Global wie national wurden die Urheberrechte massiv ausgebaut, dennoch wurden die Arbeitsbedingungen und Lebensgrundlagen für freie Kulturschaffende immer schlechter. Wie kann das sein?

Der Ausbau der Urheberrechte schafft neue Einkommensquellen, vor allem aber neue Kosten. Leider sind diese nicht gleichmäßig verteilt. Die zunehmend verschärfte und unübersichtliche Rechtslage nützt vor allem Großkonzernen und ihrem juristischen Personal. Kleine und unabhängige Produzenten hingegen sind in mehrfacher Weise benachteiligt. Für nicht industriell auf den Massenmarkt orientierte Produkte werden finanzielle und administrative Barrieren errichtet, die neue und experimentelle kulturelle Praxen schon im Keim ersticken. "Das ist nur mit gesetzlichen Regelungen zu lösen!" Aber anstatt das Gesetz noch komplexer und realitätsferner zu machen müsste es doch darum gehen, die Kunst aus der Umklammerung durch Rechtsanwälte aller Art zu befreien.

Die innovativsten Ausdrucksformen der Kultur der letzten Jahrzehnte, das Aufgreifen kultureller Codes des Alltags sowie die Samplekunst in der elektronisch produzierten Musik, werden von der Verhinderungskultur der Copyrightkartelle in die Unsichtbarkeit getrieben. Keines der großen Hip-Hop-Alben der 1980er-Jahre könnte heute noch produziert werden - die Rechteverwaltung wäre viel zu teuer. Kein Andy Warhol, besonders nicht zu Beginn seiner Karriere, könnte es sich heute noch leisten, Pop-Art zu machen.

Digitale Medien und Netzwerke ermöglichen eigentlich eine neue Breite von Zugang zu Wissen, Kultur und Bildung. Die Produktion von kulturellen Werken konnte immer weiter technisch vereinfacht und dezentralisiert werden, aber die Kontrolle über diese Prozesse und Netzwerkvorgänge ist zunehmend zentralisiert. Immer weniger globale Unternehmen dominieren den Markt und Zugang zu Kultur, Marktkonzentration in diesem Bereich hat ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht - eine direkte Folge der Verschärfung der Urheberrechte. Der Erfindungsreichtum dieser Oligopole beschränkt sich vor allem darauf, durch juristische oder technische Hindernisse Mitbewerber aus dem Markt zu drängen und durch Mangelwirtschaft zu profitieren. Die angemessene Verwendung von Zitaten, Fair Use, und andere wichtige demokratische Schranken des Urheberrechts wurden in den letzten 15 Jahren zunehmend aufgeweicht oder de facto aufgehoben. Konzerne sind an Profitmaximierung ihrer Finanziers interessiert. Demokratiepolitischen Grundlagen kultureller Praxis und das Wohlergehen der Künstler sind ihnen reichlich egal.

In der ökonomischen Logik des kognitiven Kapitalismus macht es Sinn, vermeintliche Superstars aufzubauen. Den Bedarf dafür zu schaffen ist keine kulturelle Frage, sondern ein Geschäft. Diversität und Wohlstand vieler Kulturschaffenden werden auf dem Altar dieser simplen Geschäftsstrategien geopfert. Vermeintlich finanzieren diese Superstars die kommerziell weniger erfolgreichen Künstler/innen mit. Tatsächlich ist es wohl eher umgekehrt, ein Pyramidenspiel in dem der Beitrag der vielen das Kasino der Industrie erst ermöglicht.

Die Interessen privater Lobbyisten und spekulativer Finanzinvestoren sind nicht die Interessen der Kulturschaffenden oder der Öffentlichkeit. Deren Regelwerke machen die Situation für unabhängige Künstler schwieriger, nicht besser. Die Verwertungsindustrie vertritt im besten Fall die Interessen der kommerziellen Superstars, aber nicht die der unabhängigen oder gar innovativ arbeitenden Künstler. Der notwendige neue Gesellschaftsvertrag, der lebendige Kultur ermöglicht und die Künstler/innen finanzieren kann, muss zwischen den Kulturschaffenden und ihrem Publikum, der Öffentlichkeit, verhandelt werden und nicht mit Zwischenträgern, die sich zu Türwächtern aufgeschwungen haben.

Wir brauchen eine grundsätzliche Neuordnung der Praxis im Urheberrecht für das 21. Jahrhundert. Die technokulturellen Umwälzung hin zu einer digital vernetzten Wissensgesellschaft rücken Kulturschaffende und Publikum näher zusammen. Es gilt diesen Prozess durch neue Rahmenbedingungen zu fördern, anstatt ihn durch Regelwerke zu behindern. Ein Ausbau der Urheberrechte, wie ihn die Kampagne von Gerhard Ruiss u. a. fordert, ist ein Schritt in die falsche Richtung. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.1.2012)