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Vielleicht tut Grasser schon lange alles unendlich leid?

Foto: APA/Hochmuth

Dyslalie oder auch umgangsprachlich "Hottentottismus" heißt das, wenn Kinder Buchstaben vertauschen, also zum Beispiel Beund statt Freund sagen. Oder Legen statt Regen. Lässt sich durch Logopädie ganz gut bereinigen, das sprachliche Problem, bevor es ein soziales wird.

Es scheint, dass es auch einen erweiterten Hottentottismus gibt. Zum Beispiel den, wenn Begebenheiten vertauscht werden, zum eigenen Ungunsten. Wie letztens, da ging ich so meiner Wege und stierte dabei gedankenverloren vor mich hin. Da baute sich eine Dame vor mir auf, mit zwei kläffenden Pinschern an der Leine und meinte: "GEH BITTE!! Die tun nichts, schauen Sie nicht so böse." Ich erwiderte überrascht und daher äußerst unsensibel: "Nein, nein - Ihre Hunde sind mir wurscht!" Sie erstarrte. Was für eine Beleidigung. "Also nicht, wurscht, ich meinte, ich habe keine Angst, ich habe selber einen Hund."

Sie schaute ungläubig. "Sie haben aber so böse geschaut." "Ich schaue so. Unabsichtlich. Leider! Okay, ihre Hunde sind mir wirklich wurscht. Ich kenne sie nicht. Sie sind bestimmt toll. Aber wichtig ist: ich habe nicht wegen der Hunde absichtlich böse geschaut." Sie zitterte vor Zorn und teilte mir mit, sie hätte seit Jahrzehnten Hunde und könne daher sehr wohl erkennen, wenn jemand sie wegen der Hunde böse anschaue. "Nein, nein, ehrlich," winkte ich irgendwann lahm ab. Sie ging verzweifelt brabbelnd weiter, anscheinend erklärte sie ihren Hunden was genau los war mit der bösen Hexe (=ich). Jetzt wohnt die Dame im Haus vom Kindergarten meines Sohnes. Das Haustor passiere ich vier Mal täglich. Natürlich treffe sie dauernd. Und jedes Mal zuckt sie zusammen. Ich bin für jemanden eine wandelnde Kränkung. Nichts mehr zu machen. Was ist der Hottentottismus daran? Sie verwandelte mein Narrenkastelstarrgesicht in einen persönliche Kränkungstrigger.

Oder bei den Paarbeziehungen. Wo es vor Hottentottismen wimmelt! Diese ganzen Klassiker, wie: sie fühlt sich ignoriert, weil er so wenig Zeit hat, er kommt gar nicht mehr gern nach Hause weil es dort eh‘ nur mehr Stonk gibt. Ich führe gar nicht weiter aus, die Schattierungen kennt man. Wie schön wäre es, lebte ein Mediator in jedem Haushalt, da würd's dann auch mit der Einsehen klappen, dass nicht jedes Verhalten des anderen eine persönliche Attacke auf einen selbst ist.

Vielleicht unterliegen wir auch dem Hottentottismus, was z. B. den Grasser anbelangt. Der womöglich unschuldig ist und nun hackenstad hauptberuflich Haarpflege betreibt. Vielleicht will der nur arbeiten und ist tatsächlich Opfer eines grässlichen medial konzentrierten Komplottes gegen ihn? Er hat in den Gesprächen mit seinen Mitverdienern sagen wollen, ich bin ein FREUND und will mich im Sinne der Allgemeinheit REGEN. Und durch seine Dyslalie bekam er nur heraus: "Ich will alle LEGEN!" und die haben dann alles eingeleitet was ihm Kohle und Stiftungen beschert hat.

Guter Witz, was? Aber vielleicht tut ihm schon lange alles unendlich leid und er weiß nicht, wie er's ausdrücken soll. Grässlich, diese Unsicherheit. Da sind wir dann wieder beim Logopäden. Helfen wir dem armen Mann und besorgen ihm ärztliche Unterstützung, damit er lernen kann zu artikulieren: "Ich bin schmierig. Ich habe keinen Beund mehr. Tschuldigung." (derStandard.at, 23.01.2012)