"Im strömenden Regen habe sie auf der Mariahilfer Straße gegen die schwarz-blaue Pensionsreform demonstriert, sagt Brauner - dass Wien großzügig mit seinen Beamten ist, sei eine politische Entscheidung."

Foto: Der Standard/Hendrich

"Kinder fragen einem Löcher in den Bauch - bis sie in die Schule kommen."

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"Das Otto-Wagner-Spital hat so viele Straßen wie der ganze 8. Bezirk."

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Standard: Das bisherige Mantra der Wiener Finanzpolitik gegen die Krise war stets "Investieren, investieren, investieren". Ist es nicht an der Zeit, zu "Sparen, sparen, sparen" zu wechseln?

Brauner: Nein. Sich nur auf eines der beiden zu konzentrieren wäre wirtschaftspolitisch völlig falsch. Wir brauchen beides. Wir schauen beispielsweise, wo es Doppelgleisigkeiten gibt, aber wir müssen auch aus der Krise heraus investieren. Dass wir 75 Millionen Euro in die Straßenbahnlinie 26 investieren, hat nicht nur verkehrspolitische Gründe. Und wir haben bei Bombardier den Auftrag für 20 zusätzliche U-Bahn-Züge erteilt, weil Jobs gefährdet waren.

Standard: Das geht sich alles trotz des Spardrucks aus?

Brauner: Ja, weil wir strukturell sparen. Die Stadt hat seit Jahren die gleiche Mitarbeiterzahl, obwohl wir etwa das Pass- und Meldewesen vom Bund übernommen haben. Die 80 zusätzlichen Mitarbeiter sind ausschließlich Kindergartenpädagogen.

Standard: Warum kann es sich die Stadt leisten, auf 350 Millionen Euro zu verzichten, die laut Rechnungshof eine Anpassung der Beamtenpensionen an die des Bundes bringt?

Brauner: Es gibt politische Entscheidungen. Ich selbst bin unter Schwarz-Blau im strömenden Regen auf der Mariahilfer Straße gestanden und habe gegen diese Pensionsreform demonstriert. Wir haben gegenüber den Arbeitnehmern eine gewisse Verantwortung.

Standard: Die Pensionsreform würde ja nicht mit 2012 umgesetzt, der Bund macht es bis 2028.

Brauner: 90 Prozent unserer Mitarbeiter sind in einem völlig anderen Bereich tätig als jene, an die man gemeinhin denkt, wenn man über Beamte spricht. Feuerwehrleute, Förster, Kanalräumer - Leute, die zum Teil schwere körperliche Arbeit verrichten.

Standard: Andere SP-regierte Länder haben mit der Pensionsregelung weniger Probleme.

Brauner: Das entscheidet jeder für sich selbst. Die Sonderstellung als Stadt und Land hat nur Wien.

Standard: Welche Bereiche außer den Beamtenpensionen sind noch tabu bei Sparmaßnahmen?

Brauner: Die Privatisierung der Daseinsvorsorge - dabei spreche ich von Eigentum, nicht von Organisationsformen. Die Wiener Stadtwerke sind ja jetzt bereits in einer privatrechtlichen Organisationsform, aber die öffentliche Hand muss ihren Einfluss wahren.

Standard: Wo kann denn dann gespart werden?

Brauner: Die Geriatrie- und Gesundheitsreform ist zum Beispiel ein Riesenbrocken, weil ein beträchtlicher Teil des Budgets in den Bereich Gesundheit und Soziales läuft. Ein Beispiel: Das Otto-Wagner-Spital hat so viele Straßen, die gekehrt und instand gehalten werden müssen, wie der ganze 8. Bezirk. Wenn ein Spital wie das Krankenhaus Nord nach neuesten Erkenntnissen der Arbeitsorganisation gestaltet wird, kann da viel Geld gespart werden.

Standard: Im Bund kursieren als Einsparungspotenzial im Gesundheitsbereich 1,8 Milliarden Euro. Ist das vorstellbar?

Brauner: Schon - aber dann gibt es keine Herz-Lungen-Transplantationen mehr für Pensionisten, keine künstlichen Hüftgelenke für Menschen über 70 und nicht mehr die teuersten, weil besten Krebsmedikamente.

Standard: Das heißt, wenn man nicht massiv in die Leistungskürzungen gehen will, ist das eine Fantasiesumme?

Brauner: Das ist richtig. Ich glaube, dass man viel einsparen kann, aber dieses Geld muss man dann in die Geriatrie umschichten. An Herrn Kopf (Klubobmann der ÖVP, von dem diese Zahl stammt, Anm.) scheint die demografische Entwicklung vorbeigegangen zu sein.

Standard: Sie betonen stets, wie viele Projekte es für den Arbeitsmarkt gibt, gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit in Wien höher als österreichweit. Wie kann das sein?

Brauner: Ich nenne es das Wiener Phänomen: Wir haben einen Rekord an Arbeitsplätzen, gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Mehr Menschen drängen auf den Arbeitsmarkt - 250.000 Pendler, aber auch Frauen, Menschen, die aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung wieder auf den Arbeitsmarkt zurückfinden, was gut ist. Wir sehen aber auch, dass die Anforderungen der Unternehmen nicht mit den Qualifikationen der Bewerber zusammenpassen.

Standard: Wie kann es sein, dass das Schulsystem für den Arbeitsmarkt untaugliche Leute entlässt?

Brauner: Das Schulsystem ist leider im vorvorigen Jahrhundert stecken geblieben. Kinder fragen einem Löcher in den Bauch - bis sie in die Schule kommen. Irgendetwas passt da nicht.

Standard: Es gab eine Diskussion um das Vermögen der AVZ-Stiftung, in der die Anteile der Bank Austria / UniCredit verwaltet werden. Von der Stiftung wird der Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds (WWTF) dotiert, heuer mit acht Millionen. Bleibt es dabei?

Brauner: Uns wurde seitens der Stiftung versichert, dass für die nächsten Jahre mit einer Förderung zwischen fünf und zehn Millionen Euro zu rechnen ist.

Standard: Die Opposition behauptet, die Anteile der Stadt seien nur mehr 100 Millionen wert. Wie viel ist es tatsächlich?

Brauner: Das ist ein ganz großer - wenn ich jetzt höflich bin - Irrtum der Opposition. Die Anteile an der Bank Austria, ehemals Zentralsparkasse, waren nie Teil des Vermögens der Stadt. Die Stadt hat für die ehemalige Sparkasse Haftungen übernommen. Geändert hat sich mit dem Zusammengehen der Bank Austria mit der bayerischen HVB und später mit der UniCredit, dass die Anteilsverwaltung in eine Privatstiftung umgewandelt wurde. Das hat dazu geführt, dass die Stadt für zukünftige Geschäfte nicht mehr haftet. Im Rechnungsabschluss schmelzen die Haftungen ab, jetzt sind wir bei 9,6 Milliarden Euro.

Standard: Das heißt, die Stiftung gehört sich selbst, und außer den Haftungen hat die Stadt damit nichts zu tun?

Brauner: So ist es. Wir haben auch niemanden dort drinnen sitzen. Der Stiftungszweck ist die Erhaltung des Vermögens, und das Geld, das die Stiftung abwirft, wird für den WWTF verwendet.

Standard: Das heißt, Sie wissen nicht, wie viel das Stiftungsvermögen derzeit wert ist?

Brauner: Ich bin in den Gremien der Stiftung nicht vertreten. (Bettina Fernsebner, Andrea Heigl, DER STANDARD; Printausgabe, 21./22.1.2012)