Bild nicht mehr verfügbar.

Wirtschaft und Theater können voneinander lernen, meint Georg Schmiedleitner

STANDARD: Die Limak bietet den MBA Creative Process Leadership an. Sie leiten die Lehrveranstaltung Dramaturgie und Durchsetzung von Visionen. Was ist für Sie das Spannende an dieser Aufgabe?

Schmiedleitner: Im Theater ist man in einem abgeschlossenen Raum, die Abläufe sind intern automatisiert, vieles ist selbstverständlich. Die Arbeit mit Studierenden ist dabei die Möglichkeit, sich selbst zu überprüfen und zu reflektieren. Die Teilnehmer kommen zum Großteil aus kreativnahen Bereichen im mittleren Management. Andererseits ist die Voraussetzung wieder ähnlich, denn es geht um den Prozess, wie man von einem leeren Blatt Papier zu einem kreativen Produkt kommt. Das möchte ich bei dem Kurs sichtbar machen und vermitteln.

STANDARD: Wie schafft man das?

Schmiedleitner: Das ist gar nicht so leicht erklärbar. Von außen ist meine Arbeit durch eine klare Struktur geprägt, aber meine Arbeitsweise selbst ist oft sehr unlogisch, sprunghaft, manchmal auch völlig unstrategisch. Ich möchte den Teilnehmern Mut zum Ungewöhnlichen, Sprunghaften, selbst zum Unvorhersehbaren machen. Die Lehrveranstaltung versuche ich wie eine Theaterprobe zu gestalten, weil ich meine Arbeitsweise nur bedingt erklären kann. Und ich kann ja nur das sein, was ich sonst auch bin, sozusagen eine Batterie, die bei der Veranstaltung zwei Tage lang pulsiert, und damit vermitteln, was meine Energieflüsse sind. Die erste Übung etwa war ein leeres Blatt Papier, und ich habe gesagt: Ihr könnt jetzt machen, was ihr wollt, aber macht etwas daraus. Und da kommt jeder ins Schwitzen. Mein leeres Blatt ist die Bühne, und die Theaterleitung sagt: In drei Monaten ist Bauprobe. Ich bin dabei völlig frei, nur an einen Text gebunden. Ich kann alles machen. Diese Freiheit ist auch ein Fluch, verschafft Angst, vermittelt Panik oder verleitet zum Lügen. Dieses leere Blatt ist da. Das ist das Gemeine und das Schwierige, dass diese Freiheit des kreativen Tuns genützt wird, um Dinge zu entwickeln, die dann irgendwo einen Sinn haben.

STANDARD: Was haben Sie durch die Lehrveranstaltung gelernt?

Schmiedleitner: Erstens einmal das Erstaunen, wie kompliziert kreative Vorgänge sind. Ich hab mir das ja noch nie überlegt. Ich gehe in die Probe, fange an und bekomme Feedback von Schauspielern oder Sängern etc. Dass jetzt Leute sagen: "Das ist interessant, so haben wir das noch gar nicht gesehen, so mutig irgendwo hinzusteuern" , diese Art der Reaktion bin ich nicht gewöhnt. Leute aus der Wirtschaft sind es nicht gewöhnt, Fehler machen zu dürfen. Bei einer Theaterprobe geht es ja eigentlich darum, über die Fehler eines Schauspielers gemeinsam die Wahrheit zu suchen. Fehler machen zu dürfen ist in der Wirtschaft oft schwieriger. Dort müssen gleich konkrete Ergebnisse her, und dabei ist eine Neigung zu einer gewissen Äußerlichkeit, zu einer Fassade, hinter der nichts steckt, zu bemerken. Ich sag dann schon, das ist alles schön und gut, aber interessiert mich überhaupt nicht, weil es nichts mit der Person zu tun hat, die das Projekt vorgestellt hat. Ich glaube, das Entscheidende, was ein Künstler oder Regisseur vermitteln kann, ist, dass das, was man tut, mit einem - zumindest im Augenblick - zu tun hat. Authentizität ist das Um und Auf, ganz egal ob es ein Werbekonzept oder eine Opernproduktion ist.

STANDARD: Regiearbeit ist in gewisser Weise ja doch autoritär. Kann man die Arbeit mit der von Führungskräften vergleichen?

Schmiedleitner: Auch der Regieberuf hat sich in den letzten 25 Jahren stark verändert und ist heute teamorientierter. Aber natürlich ist es schon so, dass der Regisseur klare Ansagen machen muss und die Verantwortung dafür übernimmt. Autoritär würde ich nicht sagen, aber eine gewisse Hierarchie ist schon gegeben. Trotzdem ist der Umgang miteinander sehr kollegial, aber auch mit einer gewissen Portion an Konfliktgeladenheit. Ich habe ja nichts davon, wenn sich der Schauspieler permanent wohlfühlt. Theater ist keine Komfortzone, sondern ein Raum, wo durch Spannung, durch produktive Konflikte ein Ergebnis erarbeitet wird, das einen oft selbst überrascht. Das ist vielleicht in der Wirtschaft, im Marketing anders. Dort herrscht momentan ein scheinbar kollegialer, teamorientierter Konsens mit Halbwahrheiten und Halbsätzen und scheinbar kollegialem Tun. Für Außenstehende sind wir Theaterleute unglaublich direkt und heftig im Umgang miteinander. Der Ton ist teilweise laut und heftig. Ein konfliktgeladener Sprachstil ist für unsere Arbeit aber notwendig.

STANDARD: Was kann das Theater von der Wirtschaft lernen?

Schmiedleitner: Von den Prozessen, wie Informationspolitik stattfindet, wie ein Betrieb geführt wird, haben Intendanten und Theaterdirektoren sicher von der Wirtschaft profitiert. Gewisse Dinge laufen am Theater gleich ab wie in Unternehmen. Am Theater ist es aber manchmal wichtig, unzufrieden zu sein, manchmal Wut, Frustration und Angst zu haben. Das ist auch etwas, das wir vermitteln können. Denn Angst ist nicht immer ein Hemmnis, sondern kann auch ein produktiver Motor sein. Die Proben, bei denen ich vorher Angst oder Wut habe oder schlecht aufgelegt bin, sind meistens die besten, weil sie Energie freisetzen.

STANDARD: Abgesehen von produktiver Angst, wo könnte sich die Wirtschaft noch etwas vom Theater abschauen?

Schmiedleitner: Das Theater ist zwar ein künstlerischer Raum, aber wenn man genauer hinschaut, läuft der künstlerische Prozess immer über konkrete Vorstellungen und konkretes Wollen ab. Eine Figur, die konkret etwas will, ist eine spannende Figur, wer auf der Bühne nichts will, ist langweilig und blendet sich selbst aus. Und das ist auch eine gute Schule fürs Leben. Ich finde es immer furchtbar, wenn eine Führungskraft, ein Firmenchef nichts will. Das ist ja entsetzlich für die Mitarbeiter. Natürlich haben wir andere Abläufe, aber als Regisseur lernt man: Formuliere ein Ziel so, dass es andere nachvollziehen können und dass es authentisch ist. Heutzutage bekommt man im Arbeitsalltag kaum ehrliches Feedback, Projekte werden befürwortet oder gecancelt, aber richtiges Feedback schaut anders aus. (Gudrun Ostermann, DER STANDARD, Printausgabe, 21./22.1.2012)