Das Bild von Wahlkämpfer Ibrahim Beyazit prangt auf der Getränkedose, den Hintergrund zum Porträt geben Gastarbeiter der ersten Stunde ab - aus der Dose kommt ein Energydrink, kein Çay.

Foto: Robert Newald

Wien - Etwa nach dem fünften Glas Çay, dem türkischen Schwarztee, kann es kritisch werden. Magenschmerzen, Herzrasen und unzählige Toilettengänge sind mitunter die Folge. Nicht so für Ibrahim Beyazit. Auf seiner Wahlkampftour trinke er täglich "so um die 15 bis 20 Gläser" von dem Gebräu, erzählt er lachend.

Beyazit will die türkischstämmigen Unternehmer in Wien - und davon gibt es immerhin rund 6000 - erreichen. Das heißt: Hände schütteln, Wangen küssen, Tee trinken. Am 24. Jänner wird er beim Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband (SWV) als Obmann für seine Landsleute antreten, 220 sind bei der Abstimmung wahlberechtigt, die üblicherweise keine nennenswerte Aufregung verursacht. Wahlkämpfe finden - wenn überhaupt - nur intern statt.

Startposition Sonderschule

Doch wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, wird Beyazits Plakate vielerorts entdecken. Im Hintergrund ist eine historische Aufnahme von einem Bahnhof abgebildet. Es zeigt die ersten türkischen Gastarbeiter, die 1964 in Berlin ankamen. Seit 25 Jahren ist der 43-Jährige bei der SPÖ, seit zwei Jahren tingelt er als Integrationsbotschafter durch Österreichs Schulen.

Ein türkisches Fernsehteam begleitet ihn und einen Teil seines 23-köpfigen Teams an diesem Dienstagvormittag auf Wahlkampftour. Auf dem Markt in Inzersdorf ist Beyazit schon da, bevor er aus dem Bus steigt: Er lächelt von Wänden und Fensterscheiben und appelliert an "deine Stimme für unsere Zukunft". Selbst seine Mobilnummer steht auf den Plakaten.

Mit zehn Jahren kam er nach Österreich und direkt in den Genuss einer Sonderschule. Heute leitet der gelernte Schlosser einen eigenen Betrieb mit sechs Mitarbeitern. Jetzt will er jungen Migranten ebenso Mut machen wie den Unternehmern. "Wir Migranten haben alle die gleichen Probleme: zu wenig Einfluss, und wir werden nicht gut vertreten."

Verpflichtende Deutschkurse? "Unbedingt"

Hemmschwellen gebe es genug auf dem Weg nach oben: das Gefühl, nicht akzeptiert zu werden, sich als Minderheit zu empfinden. Sprachbarrieren seien ein großer psychologischer Aspekt, warum vielen der Aufstieg so schwerfalle. Sollen Deutschkurse verpflichtend eingeführt werden?

"Unbedingt", meint Beyazit. Er habe in den vergangenen Wochen auf seiner Wien-Tour Menschen kennengelernt, die seit Jahrzehnten in Österreich leben und kein Wort Deutsch können. "Ich ziehe meinen Hut vor jedem, der es trotzdem schafft, sein Geschäft zu organisieren."

Wer aber sechs Tage die Woche, vom Morgengrauen bis zum Abend, im Laden stehe, habe einfach nicht die Zeit zum Deutschlernen. Das 25-Millionen-Euro-Budget von Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) würde er in Sprachlehrer investieren, die direkt zu den Migranten gehen. "Alle Parteien haben beim Thema Integration etwas verabsäumt - auch die SPÖ", bilanziert Parteimitglied Beyazit. Das gelte im Übrigen für die Politik in ganz Europa.

Im Beisl Yusuf Aydin am Großmarkt gibt es erst mal Linsensuppe. Und Tee. Beyazit zündet sich einen Zigarillo an, sein Telefon blinkt im Minutentakt. Ali Celik, Mitglied im Agrar-Ausschuss der Wirtschaftskammer, setzt sich zu ihm. "Ohne Migranten geht es in dieser Stadt nicht, das weiß auch Häupl", meint der Gemüsegroßhändler. Aber der Kuchen sei nicht gerecht geteilt, Beyazit soll das ändern: "Wir müssen unser Stigma in der Wirtschaftskammer zur Geltung bringen." Die Frage nach Wut und Frustration wird am Tisch verneint. "Wir sind energisch und motiviert", kontert eine Wahlkampfhelferin, "die Zukunft von Österreich interessiert uns auch." "Nur werden wir weniger gefragt", sagt Beyazit.

TV-Sendung und Hotline

Die Hälfte der Kampagne finanzieren türkische Firmen, der Rest ist sein Eigenkapital. In Beyazits Programm geht es vor allem um Kommunikation, Weiterbildung und Förderung von Jungunternehmern. Sogar eine TV-Sendung und eine Hotline sind geplant.

Der Busfahrer, der die Delegation schweigend von Markt zu Markt gefahren hat, tritt an ihn heran: "Du bist der Jörg Haider der Türken." Diesen habe er 1989 bei seiner ersten großen Wahlkampftour durch Österreich chauffiert. Beyazit nimmt das als Kompliment: "Haider war zwar in der falschen Partei, aber einer der besten Politiker Österreichs." (Julia Herrnböck, DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2012)