Ein Haus in der Siedlung Psagot. Im Hintergund: Ramallah.

Foto: derStandard.at/Hackl

Es sind nicht viele, die von Jerusalem aus am frühen Vormittag in den Bus mit der Nummer 179 enteigen. Dabei wird er vom Staat durch Subventionen gefördert. Nur einen Euro kostet die einstündige Fahrt in die Siedlung Psagot bei Ramallah. Die Reise führt durch die steinigen Hügel des Westjordanlandes. Doch Westjordanland, das gibt es für die meisten Siedler hier nur in der Theorie. "Dieses Land, Judäa und Samaria, hat uns Gott vor 3000 Jahren gegeben", erklärt Eliran, der den Bus hier tagtäglich von Jerusalen nach Psagot steuert. 

Über eine Umfahrungsstraße fährt der Bus weiter in den Norden Jerusalems. Dabei überquert er völlig unbemerkt die sogenannte Grüne Linie, oder Waffenstillstandslinie von 1949, die bislang als Basis für eine Zweistaatenlösung des israelisch-palästinensischen Konflikts gilt. Demnach ist schon der Ostjerusalemer Stadtteil Pisgat Zeev eine nach internationalem Recht illegale Siedlung, auch wenn die Reihenhäuser hier wie ein ganz normaler Vorort anmuten.

Bald passiert der Bus den israelischen Kontrollpunkt Hizma. Und erst hier wird klar, dass eine Grenze überquert wird. Israelische Siedler fahren hier Tag für Tag durch die Hügel des Westjordanlandes, vorbei an palästinensischen Orten, auf eigenen Straßen. Am Weg von einer Siedlung zur nächsten beschreibt die Route von Bus 179 eine Realität, in der es scheinbar kein Palästina gibt. Doch die Minarette und Hochhäuser von Ramallah weichen nicht aus dem Blickfeld, und sind ständige Erinnerung daran, dass dieser Schein trügt.

"Gleich sind wir in Psagot", sagt er Busfahrer sichtlich erfreut. Alle anderen Fahrgäste sind schon ausgestiegen. "Ein wunderbarer Ort", fügt er hinzu. Psagot sieht aus wie ein perfektes Ferienstädtchen. Vor den Einfamilienhäusern sind Hängematten zwischen den Bäumen gespannt. Eine Gruppe Kindergartenkinder spielt am Basketballplatz. Nur der Blick auf das dichte Siedlungsgebiet von Ramallah dürfte manchen Bewohnern nicht besonders gefallen.

Ramallah, das ist von Psagot nur einen Steinwurf entfernt. "Sie leben dort, und wir leben hier. Wenn sie Probleme wollen, dann sollen sie. Aber wir suchen nichts als Frieden", meint ein Ultraorthodoxer Mann vor der jüdischen Religionsschule von Psagot.

"Jordanien wird Palästinenserstaat"

Auch Tamar Asraf, die Sprecherin des Binyamin Regionalverbands, der die Interessen von 43 Siedlungen vertritt, unterstreicht die friedlichen Absichten der Siedler. „Ich lebe hier, und habe nichts gegen die Palästinenser", sagt sie, während sie im Konferenzzimmer eine offizielle Landkarte vom Regionalkreis Binyamin am Tisch ausbreitet. Darauf sind nur die jüdischen Siedlungen und illegalen Außenposten eingezeichnet, jedoch weder Ramallah, noch ein anderer palästinensischer Ort. Wasserfälle und Weingüter sollen Touristen in die Region locken. Eine Grafik zeigt ein rotes Herz, das symbolisch die israelische Fahne in die Erde steckt.

Sie unterstütze die Zweistaatenlösung, sagt sie, hat dabei jedoch ihre ganz eigenen Vorstellungen. Die Zone C des Westjordanlandes, die auch jetzt unter israelischer Kontrolle steht und mehr als die Hälfte des Gebiets ausmacht, solle von Israel annektiert werden. Und die 2.6 millionen Palästinenser, die im Westjordanland leben, würden Autonomie im restlichen Territorium bekommen. Das sei jedoch nur vorübergehend. „Irgendwann wird Jordanien ohnehin der Palästinenserstaat", sagt sie zuversichtlich. Spätestens dann wäre die Sache gelöst.

So radikal diese Positionen auch sind: Von der zunehmend gewalttätigen und anti-staatlichen Siedlerjugend distanziert sie sich, und auch die meisten anderen Siedler, klar.

Gemeint ist eine Gruppe radikaler Siedler, die mit Angriffen auf palästinensische Gebäude und Autos, sowie gegen die israelische Armee, in letzter Zeit für Aufsehen gesorgt hat. Bei den Angriffen hinterlassen sie meist Graffiti mit dem Wort "Preisschild". So wollen sie so den "Preis" erhöhen, den der Staat Israel bezahlen muss, um einen der illegalen Siedler-Außenposten abzureißen, in denen sie im Westjordanland leben.

"Das sind nur Kinder, die das Gefühl haben, vom Staat verlassen worden zu sein", meint Asraf. Die Ursache für deren Verhalten sei „ein schwieriger familiärer Hintergrund", sowie der Zorn auf den Staat Israel, der die Container in denen sie leben, immer wieder abreißt. "Sie haben das Gefühl, vom Staat bespuckt zu werden", sagt sie. Jeder illegale Außenposten, der abgerissen wird, würde letztlich mehr von diesen Leuten produzieren.
Im Gegensatz zur aggressiven Strategie dieser radikalen Gruppe, versuchen die gewöhnlichen Siedler über die Lobby des Yesha-Rats, der alle Siedlungen vertritt, die Politik für ihre Interessen zu instrumentalisieren.

Die Siedlerlobby

"Heute, da die Palästinenser ständig einem Stopp des Siedlungsbaus fordern, ist der Yesha-Rat extrem stark", erklärt der Parlamentsabgeordnete Otniel Schneller, der aus dem national-religiösen Lager kommt, jedoch Teil der Partei Kadima ist. "Die Leute in der Regierung wissen: Wenn ihre Politik vom Yesha-Rat mitgetragen wird, dann werden die Siedler sie auch wiederwählen", meint Schneller. Er selbst war in den 80er Jahren Generaldirektor des Siedlerrats. Im Prinzip sei der Rat ein Medium zwischen den Siedlern und der Regierung. Soll etwa ein illegaler Außenposten abgerissen werden, wie das zurzeit im Fall der nach israelischen Recht illegalen Siedlung Migron der Fall ist, versuche das Gremium eine Brücke zu bauen, und eine Lösung zu finden.

Der Status quo scheint für Siedler und Regierung zurzeit das Beste zu sein. Von dem was die internationale Gemeinschaft, die US-Regierung, die Palästinenser und das Nahost-Quartett im Sinne einer Zweistaatenlösung verstehen, ist die heutige Siedlergemeinschaft jedenfalls Lichtmeilen entfernt. "Eines ist klar", meint Schneller. "Wenn die internationale Gemeinschaft und die Palästinenser so weitermachen wie heute, dann werden wir in Judäa und Samaria bleiben." (Andreas Hackl, derStandard.at, 19.1.2012)