Wien - Der Entzug des AAA-Status durch die Ratingagentur Standard & Poor's hat in Österreich zu keinem nationalen Schulterschluss geführt. Ganz im Gegenteil: Die Nationalratssitzung begann am Mittwoch als ein Gefecht jeder gegen jeden.

BZÖ-Chef Josef Bucher schmetterte der Regierung entgegen: "Ihre Regierungstätigkeit ist herabgestuft worden." Später sagte er: "Diese rot-schwarze Regierung ist Gift für Österreich." Die Sitzung begann mit einer Aktuellen Stunde zu dem vom BZÖ ausgewählten Thema "Genug gezahlt - keine neuen Steuern". "Anlegerpatriotismus" sei das Gebot der Stunde, sagte Bucher. Die Koalition solle für die österreichischen Anleihen werben. 

Schuldenbremse bleibt Streitthema

FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache würde am liebsten gleich neu wählen lassen. Ebenso wie Bucher wollte die FPÖ sich den Bonitätsverlust nicht umhängen lassen, nur weil die Opposition der Verankerung der Schuldenbremse in der Verfassung nicht zugestimmt habe.

Der Grünen-Abgeordnete Werner Kogler plädierte für mehr Steuergerechtigkeit, also auch für zusätzliche Steuern. Kämen Vermögenssteuern nur in der halben Höhe dessen, was in vergleichbaren Ländern üblich sei, würde Österreich innerhalb der Maastricht-Kriterien (staatlicher Schuldenstand darf nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen) liegen. Ansetzen müsse man ferner bei den Förderungen und bei der Verwaltung von Schulen und Spitälern.

Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) warf FPÖ, Grünen und BZÖ parteipolitisches Kalkül als Grund dafür vor, die Schuldenbremse nicht in der Verfassung verankert zu haben. Sie hätten das Staatsganze nicht im Auge gehabt.

Koalition streitet über neue Steuern

Den Schuldenberg will Fekter ungeachtet dessen abbauen, aber nicht mit neuen Steuern: "Österreich hat eine ausgesprochen hohe Abgabenquote." Abgebaut werden sollen Doppel- und Dreifachförderungen, auch im Gesundheitssystem will sie Kosten senken und das Frühpensionsalter in die Höhe treiben.

"Man soll das Sparen nicht zur Ideologie machen", antwortete SPÖ-Klubchef Josef Cap. Es gehe nicht um neue Steuern, sondern um das Schließen von Steuerlücken. Das erboste wiederum ÖVP-Finanzsprecher Günter Stummvoll: Der Wähler könne sich ein Bild machen. Die ÖVP wolle die Budgetkonsolidierung über Effizienzsteigerungen erreichen, der Koalitionspartner die Steuern erhöhen.

Opfer des Austrofaschismus rehabilitiert

Mit den Stimmen aller fünf Parlamentsparteien hat der Nationalrat die Rehabilitierung von Opfern des Austrofaschismus beschlossen. Mit dem "Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetz" werden alle Personen rehabilitiert, die zwischen 6. März 1933 und 12. März 1938 ("Anschluss" an Deutschland) verurteilt, angehalten bzw. ausgebürgert wurden, weil sie sich für ein unabhängiges und demokratisches Österreich eingesetzt hatten. Auch politische Meinungsäußerungen sind ausdrücklich umfasst. Alle diesbezüglichen Urteile von Straf-, Sonder- und Standgerichten werden aufgehoben, ihr Unrecht wird in einer eigenen Klausel dezidiert festgehalten und den Justizopfern wird Anerkennung gezollt.

Über diese allgemeine Rehabilitierung hinaus können betroffene Personen, deren Ehegatten, Lebensgefährten, Verwandte in gerader Linie oder Geschwister außerdem per Antrag eine Feststellung erwirken, dass die Verurteilung als nicht erfolgt gilt. Die Entscheidung darüber trifft das Wiener Straflandesgericht, in Zweifelsfällen kann es einen beim Justizministerium einzurichtenden sechsköpfigen Rehabilitierungsbeirat beiziehen. Entschädigungs- und Rückersatzansprüche können aufgrund des Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetzes nicht erhoben werden.

FPÖ sprach von Geschichtsklitterung

In der Debatte zollte Prammer dem ÖVP-Verhandler Neugebauer Respekt: dieser habe "viel Mut besessen". Mit dem Gesetz werde den Menschen, die damals ihr Leben verloren hätten, "nachträglich und zweifellos sehr spät Gerechtigkeit zuteil". Neugebauer bezeichnete das Gesetz als "Anerkennung, die jenen gebührt, denen Unrecht im Sinne eines Rechtsstaates widerfahren ist". Man spreche damit aber auch den Opfern und ihren Nachkommen jenes Mitgefühl aus, das dem Ausmaß ihres Leides angemessen sei.

Zugestimmt hat dem Gesetz letztlich auch die FPÖ, die sich im Ausschuss noch dagegen gestellt hatte. Es gehe "um eine Versöhnung über die Gräber hinaus", sagte Justizsprecher Peter Fichtenbauer. Allerdings sprach er auch von "Geschichtsklitterung" und wünschte sich, dass jene Polizisten, die im Bürgerkrieg "vom Karl-Marx-Hof herunter von einem Heckenschützen erschossen wurden", ebenfalls einen "großen Gedenkstein" erhalten sollten. Ähnlich äußerte sich BZÖ-Mandatar Christoph Hagen. Den Vorwurf der "Geschichtsklitterung" wies Grünen-Bildungssprecher Harald Walser zurück. "Natürlich war dieser Widerstand legitim", sagte er mit Blick auf den roten Aufstand gegen das Dollfuß-Regime. Das Gesetz sei aber ein Zeichen dafür, dass in dieser Frage nun "Normalität aufkommt".

Atomdebatte und Gesetzesbeschlüsse zum Abschluss

Zum Abschluss hat der Nationalrat am Abend noch eine Reihe von Petitionen für einen weltweiten Atomausstieg abgearbeitet. Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) wehrte sich dabei gegen Vorhaltungen der Opposition, zu wenig für einen europaweiten Atomausstieg zu unternehmen. Beschlossen wurden ein neues Chemikaliengesetz sowie ein Abkommen über die Intensivierung der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit Russland.

Österreich stehe nicht erst seit der Katastrophe von Fukushima auf dem Standpunkt, dass Atomenergie nicht sicher sei, betonte Berlakovich. So sei die Idee der "Stresstests" für europäische AKW "von Österreich ausgegangen". Damit habe man nun ein europaweit einheitliches System für die Überprüfung von Atomkraftwerken.

Bildungsvolksbegehren am Donnerstag Thema

Die nächste Sitzung des Nationalrats steht am Donnerstagvormittag am Programm - den Auftakt macht eine Fragestunde mit Finanzministerin Maria Fekter. Der weitere Sitzungstag wird im Zeichen der Bildungspolitik stehen. So diskutieren die Fraktionen das von Hannes Androsch gestartete Bildungsvolksbegehren. Das Volksbegehren wird dann in den nächsten Monaten in einem eigenen Ausschuss weiterbehandelt werden. Außerdem wird die modulare Oberstufe beschlossen. Bei einem Nicht genügend muss künftig nur mehr das betreffende Fach, sprich: Modul, wiederholt werden, aber nicht die Klasse. Bis zur Matura muss der Schüler allerdings alle Module positiv abgeschlossen haben.

Pilz' Immunität wird besprochen

Außerdem wird die Immunität des Grünen-Abgeordneten Peter Pilz besprochen. Das Landesgericht St. Pölten fordert die Aufhebung seiner Immunität wegen des Vorwurfs der üblen Nachrede. Eine "Auslieferung" ist aber unwahrscheinlich. Anlass für die Ermittlungen sind Vorwürfe Pilz' gegen Staatsanwälte in der Causa Kampusch. (APA/red, derStandard.at, 18.1.2012)