"Texte zur Kunst", Heft Nr. 84/Dezember 2011 "Feminismus!", Euro 15,-
Die 84. Ausgabe ist derzeit leider vergriffen, einige Texte können auf der Webseite des Kunstmagazins nachgelesen werden.

Cover: Texte zur Kunst, Heft 84

Kein lässiger Titel mit "Gender" oder "Queer" ziert die aktuelle Schwerpunkt-Ausgabe der "Texte zur Kunst", sondern schlicht und einfach "Feminismus!". Das seit über zwanzig Jahren erscheinende Kunstmagazin trägt mit seinen Essays, Interviews, Gesprächsrunden und Besprechungen maßgeblich zu den Debatten über zeitgenössische Kunst bei. Seit 2006 erscheint das Kunstmagazin mit einem Themenschwerpunkt, der diesmal eben mit Feminismus gefüllt wird. Inhaltlich sei das keine Premiere, denn feministische Theorie sowie Gender- und Queertheorie waren schon in vielen anderen Ausgaben Bezugspunkte für die Analyse gesellschafts- und kunstpolitischer Zusammenhänge gewesen, so die Redakteurinnen Sabeth Buchmann, Isabelle Graw und Juliane Rebentisch im Vorwort.

Doch es ist noch nicht genug, meinen sie. Im Gegenteil: Mehr und mehr mache sich eine "Postfeminismus" oder "Postgender"-Stimmung breit, weswegen immer wieder auf die im Zuge der "Post"-Diskurse oftmals unterschlagene Agenda des Feminismus als "soziale Frage" erinnert werden muss. Statt Geschlechterungleichheit vor diesem Hintergrund zu behandeln ginge der Trend in die Richtung, Gründe für Ungleichheit auf einer individuellen Ebene zu suchen. Doch "Postideologisch" will sich die "Feminismus!"-Ausgabe nicht geben.

Geschlecht spielt keine Rolle (mehr)?

Mit eben dieser Frage nach "Postfeminismus... Post Gender?" beschäftigt sich Pamela M. Lee, Professorin für Kunstgeschichte an der Stanford University. Sie kritisiert, dass der Begriff "Postfeminismus" suggeriere, dass die Forderungen der Frauenbewegung obsolet seien, und "Postgender" vermittelte, dass die Kategorie Frau als Gegenstand soziologischer oder historischer Analysen nicht mehr relevant sei. Mit einer Anekdote aus ihrem Kunstgeschichte-Seminar will Lee zeigen, dass sich dies aber offenbar recht erfolgreich durchgesetzt habe: Ihr Kurs behandelte Beispiele aus der Tradition der Selbstporträts. Nach einer Vielzahl von männlichen Künstlern kam auch eine Frau zum Zug, Élisabeth Vigée-Lebrun (1755 - 1842). Weder der seltene Umstand, dass hier mal eine Frau ihr Selbst porträtierte, noch das Dienstverhältnis der Malerin zu Marie Antoinette, "einer höchst mächtigen weiblichen Herrscherpersönlichkeit dieser Zeit", zog das Interesse der Studierenden auch nur annähernd auf sich, wundert sich Lee in ihrem Beitrag über die SeminarteilnehmerInnen.

Krise der sexuellen Währung

Mit einer aktuelleren Figur beschäftigt sich Marie-Luise Angerer. Die Ereignisse rund um Dominique Strauss-Kahn im vergangenen Jahr gaben für sie den Anlass, nach der Krise der "Sexualität als Währung" für die Beziehung der Geschlechter zur fragen. Ausgangspunkt bilden für sie dabei unter anderem die Reaktionen von Feministinnen auf die "Affäre DSK": Die französischen Reaktionen hätten stolz ihre leidenschaftliche Erotikkultur hochgehalten, ohne weiter auf Machtfaktoren einzugehen. Eine solche vertrat etwa die Romanistikprofessorin Babara Vinken in mehreren Kommentaren und Interviews (zum Beispiel in "Die Zeit"). Die andere Position, die den Umgang der amerikanischen Justiz mit dem Fall begrüßte, "Erotik" außen vor ließ und ausschließlich von sexueller Gewalt sprach, wäre hingegen als "kleinbürgerliche Scheintugend" kritisiert worden. Angerer zeigt, dass es sich dabei teilweise um eine aktuellere Auflage einer Diskussion handelte, die bei Debatten über Pornographie bereits feministische Geschichte geschrieben hat: Während Feministinnen wie Andrea Dworkin oder Alice Schwarzer in den meisten Darstellungen weiblichen Begehrens Unterwerfung orteten und Verbote für die Pornoindustrie forderten, betonten Theoretikerinnen aus der Kunst und Film "die Differenz von Fantasie und Realität". Nichtsdestotrotz plädierten auch sie für eine andere Ästhetik des weiblichen Begehrens.

Und dann wären da noch die Diven

Erwähnenswert ist auch Monika Rincks Text "Das Prinzip Diva". Eine Diva zu sein sei früher nichts Schlechtes gewesen, Rinck erinnert etwa an Greta Garbo. Heute kursiere "Diva" hingegen vorranging in negativer Mission und stehe für "Launenhaftigkeit und Hochmut". Auch reiche schon ein bisschen Rampenlicht und ein wenig Extravaganz für den nunmehr inflationär eingesetzten Diva-Begriff, so die Autorin. Rinck will das Prinzip "Diva" nicht nur von seinem schlechten Image befreien, sondern auch noch eine politische Zutat beimischen. Es soll als "Ablehnung von falschen Kooperationsangeboten" funktionieren und sich einer herrschenden "Verfügbarkeitsökonomie" entgegenstellen. Die Verweigerung von "dummen Fragen", "ungerechten Ausgangslagen", "unmöglichen Fristen" oder "falschen Selbstverständlichkeiten" praktiziere die Diva, für die "endlose Verfügbarkeit" stehe hingegen die Anti-Diva. Und auch wenn es nicht immer leichtfalle, diese Konfliktbereitschaft auszuhalten, gibt die Autorin zu, muss dieser wesentliche Faktor des Prinzips "Diva" doch bleiben: "Kollision ist richtig".

Neben diesen Texten wartet der Feminismus-Schwerpunkt von "Texte zur Kunst" außerdem noch mit der Frage des Verschwindens von Identitätspolitik aus der akademischen Welt und mit spannenden Rezensionen auf. Etwa über das vor kurzem auf Deutsch erschienene Buch von Linda M.G. Zerilli. In "Feminismus und der Abgrund der Freiheit" erforscht Zerilli das feministische Potential von Hanna Arendt, die selbst allerdings für den Feminismus nicht viel übrig hatte.

"Texte zur Kunst" ist mit der 84. Ausgabe eine gelungene Zusammenstellung aktueller kunstpolitischer Positionen gelungen, die sowohl den originellen Umgang mit Feminismus, als auch die weitreichende Geschichte der Bewegung nicht vernachlässigt. Und auch die im Umgang mit politischen Bewegungen gerne über gestreiften Samthandschuhe a la "Postideologisch" bleiben in der Schublade. (beaha, dieStandard.at, 18.1.2012)