Boas drücken, bis das Herz ihrer Beute zu schlagen aufhört, wie US-Forscher nun herausgefunden haben.

Foto: Dr Scott Boback

Es muss ein besonderer Anblick sein: Ein paar Kilometer vor der Küste des mittelamerikanischen Staates Belize kreuzt eine drei Meter lange Schlange munter durch die Wellen. Es ist eine ausgewachsene Boa constrictor, eine Art, die normalerweise im tropischen Regenwald zuhause ist. "Fischer haben mir regelmäßig von Boas berichtet, die im Salzwasser schwimmen", sagt der US-Biologe Scott Boback im Gespräch mit dem STANDARD. Vermutlich setzen die Tiere gezielt zu den vorgelagerten Inseln über, auf der Suche nach Nahrung oder einem Paarungspartner.

Boa constrictors Seetüchtigkeit ist indes nicht die einzige Überraschung, die diese Schlangenspezies dem Reptilienforscher in letzter Zeit bereitet hat. Boback ist am Dickinson College in Carlisle, Pennsylvania, USA tätig und betreibt schon seit vielen Jahren Feldforschung in Belize und anderen Ländern Mittelamerikas. Boas sind eines seiner Hauptstudienobjekte.

Zusammen mit einigen Kollegen ist Scott Boback der Beutefangtaktik dieser Schlangen auf den Grund gegangen. Boas erdrosseln ihre Opfer, bevor sie sie verschlingen. Eine zeit- und vor allem kraftaufwändige Angelegenheit. Die Schlange wickelt sich um den Rumpf des Beutetieres und übt mit ihren Muskeln einen gewaltigen Druck aus. Dabei steigt die Stoffwechselrate des Räubers um knapp das Siebenfache an. Offenbar ist das Erwürgen eine körperliche Extremleistung.

Aber wie weiß die Boa, wann sie aufhören kann? Wenn ein Tier nicht mehr zappelt, muss dies nicht bedeuten, dass es nicht mehr lebt. Manche könnten stillhalten und versuchen zu fliehen, sobald die Schlange ihren Griff lockert, oder schlimmer, zu Beginn der Mahlzeit plötzlich zum Gegenangriff übergehen. Das Reptil ist mit weit geöffnetem Maul am verwundbarsten, erklärt Scott Boback. "Deshalb will es wirklich sicher sein, dass das Tier tot ist."

Der Wissenschafter hatte eine Vermutung: Womöglich können Boas den Herzschlag ihrer Beute spüren. Um dies zu testen, führte er zusammen mit drei seiner Studentinnen ein faszinierendes Experiment durch. Das Team setzte elf wild gefangenen und sieben gezüchteten Boa constrictors tote Ratten vor, von denen einige auf besondere Weise präpariert waren. Die Nager trugen im Brustkorb einen winzigen Ballon. Dieser war mit Wasser gefüllt und über einen dünnen Schlauch mit einer Präzisionspumpe verbunden. So ließ sich exakt ein Ratten-Herzschlag simulieren. Allen Test-Beutetieren hatten die Forscher zudem einen Druckmesser implantiert.

Die Ergebnisse der Versuchsreihe zeigen ein sehr deutliches Muster. Die Schlangen drückten Ratten ohne Simulationsherz nur schwach, gleichmäßig, und nicht länger als gut zwanzig Minuten. Beim Einsatz eines falschen Herzschlags jedoch setzen die Boas zeitweilig etwa doppelt so viel Kraft ein, variierten den Druck, und hörten erst auf, wenn das "Herz" ihres Opfers nicht mehr pochte, also bis die Wissenschafter die Pumpe abschalteten. Und sei's erst nach einer Dreiviertelstunde. Weitere Details wurden heuer vom Fachblatt "Biology Letters" veröffentlicht.

Scott Boback vermutet, dass Boas den Herzschlag ihrer Beute über einfache aber sensible Mechanorezeptoren wahrnehmen. Solche haben Schlangen wohl reichlich, sagt Boback. Sie dürften sich im Laufe der Evolution in erster Linie zur Koordinierung der komplexen Kriechbewegungen dieser Reptilien entwickelt haben. Die Fähigkeit zur Herzschlag-Erkennung ist auf jeden Fall angeboren. Auch die in Gefangenschaft geschlüpften Boas reagierten auf den simulierten Puls, und diese hatten noch nie Kontakt mit einem lebendigen Beutetier gehabt. (Kurt F. de Swaaf , 19. 1. 2012)