Wien - "Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht umbringen: Ich bin invalide und in meinem Haus eingesperrt", sagte Carlo Fruttero in einem seiner letzten Interviews. Er spielte damit auf seinen Co-Autor Franco Lucentini an, der sich vor zehn Jahren, an Lungenkrebs erkrankt, 81-jährig das Leben genommen hatte.

Die Firma nannten sich die beiden selbstironisch und auf die in Italien allgegenwärtige Mafia anspielend. Dreißig Jahre lang schrieben sie ihre Bestseller in einer Art Literatur-"Stille Post": Nur in der allerletzten Phase, so verrieten die beiden Herren bei einem Besuch in Frutteros Turiner Altbauwohnung ihr Procedere, würden sie in einem Landhaus gemeinsam schreiben. Vorher bliebe jeder für sich, schicke ein Kapitel per Fax oder Post dem anderen zur Überarbeitung, knüpfe am Gedanken des anderen an und treibe die Geschichte weiter. "Literaturdesign", wie einige Kritiker abfällig meinten.

Aber Fruttero & Lucentini würzten ihre Whodunit-Stories immer auch mit gesellschaftspolitischer Kritik, sezierten mit feiner Ironie die Turiner Upper Class und deren Marotten und scheuten sich nicht, den allmächtigen Fiat-Clan in die Nähe organisierten Verbrechens zu rücken, etwa in ihrem Roman Wie weit ist die Nacht (1979). Schon in ihrem Erstling Die Sonntagsfrau (1974) machten sie ein homosexuelles Paar zu zentralen Figuren und beschrieben nicht die Gleichgeschlechtlichkeit als Problem, sondern die unterschiedliche soziale Herkunft und daraus resultierende unterschiedliche (politische) Ansichten. Der Roman wurde später mit Marcello Mastroianni, Jacqueline Bisset und Jean-Louis Trintignant verfilmt.

Fruttero, geboren 1926 in Turin, verheiratet und Vater zweier Töchter, galt als Spezialist für detailgenaue Ortsbeschreibungen. Auf den Spuren der Romanhelden lässt sich die Schönheit Turins, Venedigs (Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz, 1986) oder Roms (Die Wahrheit über den Fall D. 1989) entdecken.

Als Solist veröffentliche Fruttero Frauen, die alles wissen (2008) sowie, noch zu Lebzeiten Lucentinis, die Politsatire Der unsichtbare Zweite: Die denkwürdigen Abenteuer des Parlamentsabgeordneten Slucca (2001). Das Buch über die politische Verfasstheit Italiens sei nicht als Schlüsselroman misszuverstehen: "Es gibt in Italien genügend verrückte Gesetzesvorschläge und durchgeknallte Projekte." Politiker beschrieb er als aufgeblasene ehrgeizige Gockel: "Man sollte lachen über diese Menschen. Das ist die einzige Haltung, mit der man sie ertragen kann."

Sich selbst bezeichnete der Schriftsteller als "Mann ohne Eigenschaften und Autorität: Ich kommandiere nicht mal zu Hause meine Familie herum." Sonntagabend ist Fruttero 85-jährig im toskanischen Badeort Castiglione della Pescaia gestorben. (Andrea Schurian, DER STANDARD/Printausgabe 17.1.2012)