Henning Effner betreut für die Friedrich-Ebert-Stiftung das Thema Burma/Myanmar. Derzeit ist er in Kuala Lumpur, Malaysia, stationiert.

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Öffnung nach Westen: US-Außenministerin Hillary Clinton auf Staatsbesuch in Burma/Myanmar bei Präsident Thein Sein.

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Und bei Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi.

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Min Ko Naing ist einer der prominentesten Freigelassenen. Er gilt als Anführer des demokratischen Aufstandes im Jahr 1988. Er wurde 1989 inhaftiert, 2004 freigelassen und 2007 erneut verhaftet.

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Seit 1962 herrschte in Burma/Myanmar die Militärjunta mit eiserner Faust. Im Herbst 2010 kam erstmals wieder eine zivile Regierung an die Macht. Nach jahrelanger Isolation beginnt sich Myanmar nun langsam zu öffnen. Die 15 Jahre in Hausarrest gehaltene Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi tritt im April bei Wahlen an. Henning Effner von der Friedrich-Ebert-Stiftung spricht im derStandard.at-Interview über die Motive des Wandels und die Stolpersteine auf den Weg zu einer offeneren Gesellschaft.

derStandard.at: Vergangene Woche schloss die Regierung von Burma-Myanmar einen Waffenstillstand in einem der weltweit ältesten Bürgerkriege. Die Karen National Union willigte ein, alle Kämpfe einzustellen. Ein Durchbruch?

Effner: Die neue Regierung unter Präsident Thein Sein hat ja mit allen ethnischen Minderheiten eine neue Friedensinitiative gestartet. Der Waffenstillstand mit den Karen ist aber schon deshalb ein Durchbruch, weil dieser Konflikt schon über sechs Jahrzehnte andauert. Was jetzt folgen muss, ist ein politischer Dialog. Das wäre auch der große Unterschied zum Umgang der ehemaligen Militärjunta mit den Karen. Die Junta hat die ethnischen Widerstandsgruppen immer nur als Sicherheitsproblem gesehen, ist die tieferliegenden Ursachen der Konflikte jedoch nie angegangen. Die aktuelle zivile Regierung hat sich hingegen bereit erklärt, über wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu sprechen und über mehr Eigenständigkeit und politische Teilhabe.

derStandard.at: Welche Konflikte mit ethnischen Minderheiten sind nun noch ungelöst?

Effner: Mittlerweile hat die Regierung mit fast allen Widerstandsgruppen Waffenstillstände vereinbart. Eine Ausnahme bildet die Kachin Independence Organization (KIO). Die KIO und die Regierung hatten zwar 1994 einen Waffenstillstand geschlossen. Dieser wurde jedoch von der Regierung Ende 2010 aufgekündigt, da sich die KIO weigerte, ihre Verbände in die von der Regierung kontrollierten Grenzschutztruppen zu integrieren. Im Juni 2011 kam es zu einem Wiederausbruch der Kämpfe. Tausende Menschen mussten seitdem aus den Kampfgebieten fliehen.

Für den Erfolg des eingeleiteten Reformprozesses ist die Beilegung der ethnischen Konflikte von großer Bedeutung. Das Militär sieht es traditionell als seine Hauptaufgabe an, ein Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaates zu verhindern. Solange die ethnischen Konflikte nicht gelöst sind, wird das Militär kaum bereit sein, seine Vormachtstellung aufzugeben. Es wird jedoch Zeit brauchen, bis verlorenes Vertrauen wieder aufgebaut und die Konflikte dauerhaft befriedet werden können. Die Chancen, die Konflikte politisch zu lösen, sind jetzt allerdings so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

derStandard.at: Die Freilassung der zahlreichen politischen Gefangenen, die unter der Militärregierung gemacht wurden, war eine Hauptforderung westlicher Regierungen. Mit der jüngsten Amnestie ist die neue Regierung dieser Forderung nachgekommen. Eine weiterer konkreter Schritt Richtung Öffnung?

Effner: Auf jeden Fall. Die jüngste Freilassung politischer Gefangener ist der bisherige Höhepunkt des Reformprozesses. Die prominentesten Dissidenten des Landes sind damit wieder auf freiem Fuß. Unter den Freigelassenen sind u.a. Min Ko Naing, der den demokratischen Aufstand im Jahr 1988 anführte sowie viele seiner Mitstreiter aus der 88er Studentenbewegung. Auch der Mönch Ashin Gambira, eine treibende Kraft des Mönchaufstandes im Jahr 2007, wurde aus der Haft entlassen. Beide Aufstände waren damals vom Militär blutig niedergeschlagen worden. Was jetzt noch passieren müsste, wären freie und faire Nachwahlen zum Parlament im April 2012.

derStandard.at: An den Nachwahlen am 1. April nimmt auch die erst kürzlich nach 15 Jahren Hausarrest frei gelassene Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi teil. Welche Chancen, welche politische Zukunft hat sie?

Effner: Daran, dass Aung San Suu Kyi ihren Wahlkreis gewinnen wird, zweifelt kaum noch jemand. Interessant ist, dass ein Berater des Präsidenten ihr kürzlich sogar ein Amt in der Regierung in Aussicht gestellt hat. Ob Aung San Suu Kyi ein derartiges Angebot annehmen würde, ist allerdings ungewiss. Sie sieht sich ja vor allem als Oppositionspolitikerin und man kann schlecht Oppositionsführerin und Regierungsmitglied in einem sein. Langfristig macht sie sich aber sicher große Hoffnungen, zum Beispiel was die Wahlen 2015 betrifft.

derStandard.at: Was sind die Motive hinter dem Reformprozess in Myanmar?

Effner: Die Öffnung Myanmars hängt vor allem an der Person Thein Seins. Der neue Staatspräsident gilt als ruhig, besonnen, beratungsfähig und nicht korrupt. Das unterscheidet ihn von anderen Mitgliedern der ehemaligen Militärführung. Er leidet unter einer Herzkrankheit, und es gilt es als unwahrscheinlich, dass er 2015 nochmals antreten wird. Er hat von daher vermutlich keine weitergehenden Ambitionen.

Für den Reformprozess spielen aber auch außenpolitische Motive eine Rolle. Die starke Abhängigkeit von China ist vielen ein Dorn im Auge. Gute Beziehungen zum großen Nachbarn sind zwar notwendig, aber die neue politische Führung möchte die Außenbeziehungen etwas ausgewogener gestalten: Also mehr Kontakte zu ASEAN, aber auch mehr Kontakte zu Europa und den USA.

derStandard.at: Wie steht die Militärführung zu der neuen Strategie der Öffnung?

Effner: Die neue Regierung unter Thein Sein besteht ja zu einem großen Teil aus pensionierten Militärs. Dass diese Regierung nun einen Reformkurs einschlägt, verdeutlicht, dass es bereits zu Zeiten der Militärjunta reformorientierte Kräfte gegeben hat, die eingesehen haben, dass es mit dem Land so nicht weitergehen kann. Solange der Chef der Militärjunta, General Than Shwe, an der Macht war, waren politische Reformen und ein Dialog mit Aung San Suu Kyi jedoch schlichtweg unmöglich.

Für Thein Sein scheint von der neuen Militärführung momentan keine Gefahr auszugehen. General Min Aung Hlaing, der neue Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt Thein Seins Reformkurs mit, ebenso wie der mächtige Sprecher des Unterhauses, Shwe Mann, die ehemalige Nummer Drei der Militärjunta. Innerhalb der Regierung hat Thein Sein allerdings mächtige Feinde. Mitte 2011 kam es bereits zu einem Machtkampf zwischen den Reformern um Thein Sein und den Hardlinern um Vizepräsident Tin Aung Myint Oo. Den Machtkampf konnten die Reformer vorerst für sich entscheiden, aber es ist nicht auszuschließen, dass die Hardliner nicht doch noch die Oberhand gewinnen.

derStandard.at: Sind gewisse Veränderungen auch für die Menschen schon spürbar?

Effner: Das sind Dinge, die Zeit brauchen. Zwar hat sich das Klima in Rangun schon merklich gewandelt, an den schwierigen Lebensbedingungen der Menschen in den ländlichen Gebieten hat sich aber noch nicht viel geändert. Für den Reformprozess müssen nun zügig wirtschaftliche und soziale Reformen umgesetzt werden. Da sehe ich Probleme. Angesichts der jahrzehntelangen Isolation und des maroden Bildungssystems verfügt die Regierung nicht über das notwendige Know-How, um die Reformen umzusetzen.

derStandard.at: Wird Know How aus der EU in Aussicht gestellt?

Effner: Die EU wird voraussichtlich im April über die Sanktionen neu entscheiden. Angesichts der jüngsten Fortschritte im Reformprzess dürfte der Druck, die Sanktionen aufzuheben oder zumindest substantiell zu lockern, weiter zunehmen. Sollte es dazu kommen, könnte die EU dringend benötigte Unterstützung leisten, z.B. bei der Modernisierung des Bildungssystems, bei der Armutsbekämpfung, beim Aufbau eines funktionierenden Gesundheitswesens und bei der Stärkung der Zivilgesellschaft. Auch beim Aufbau demokratischer Institutionen ist Myanamr auf Hilfe von außen angewiesen. Mit derartiger Unterstützung würde man zudem Präsident Thein Sein gegenüber der Hardliner-Fraktion den Rücken stärken. Das wäre wichtig, denn noch ist der politische Reformprozess nicht unumkehrbar. Er hat aber größere Aussichten auf Erfolg, wenn er von wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt begleitet wird. (mhe, derStandard.at, 17.1.2012)