Ein Lokalaugenschein bei Österreichs einzigem aktiven Kernspaltungsreaktor am Wiener Atominstitut

Andreas Musilek drückt mir ein Dosimeter in die Hand und fragt, ob ich das Gebäude problemlos gefunden hätte. "Ich steh' auf das Institut", sagt er unmittelbar nach meiner Antwort und grinst. Das Dosimeter, ein Gerät zur Strahlenmessung, muss jeder Besucher mit sich führen. Es zeigt null Mikrosievert an.

Musilek ist Strahlenschutzbeauftragter am Atominstitut der Technischen Universität Wien im Prater. Sein Büro liegt ein paar Meter neben Österreichs einzigem aktiven Kernspaltungsreaktor.

Foto: Michael Matzenberger/derStandard.at

Der Forschungsreaktor mit dem Grundriss eines regelmäßigen Achtecks ist nach dem sogenannten Swimmingpool-Aufbau konstruiert: Die Brennstäbe sind in ein nach oben offenes Becken mit destilliertem Wasser getaucht. Der zweistöckige Behälter mit dem Modellnamen Triga Mark-II wurde zwischen 1959 und 1962 vom kalifornischen Unternehmen General Atomics errichtet.

Warum ist der Reaktor gelb? Das sei schon von Beginn an so, sagt Andreas Musilek: "Wär' auch komisch, wenn man plötzlich vor einem rosaroten Reaktor steht."

Foto: Michael Matzenberger/derStandard.at

Um den Reaktor wickelt sich eine schwarze Stiege, von der oberen Plattform führt eine kurze Brücke zur Steuerungszentrale.

Von hier aus wird rund 220 Tage im Jahr Grundlagenforschung betrieben - etwa geologische Bestimmungen per Neutronenaktivierungsanalyse. Lehrveranstaltungen, die am und um den Reaktor abgehalten werden, tragen Titel wie "Kernbrennstoff-Kreislauf" und "Physik schwerer Reaktorunfälle".

Foto: Michael Matzenberger/derStandard.at

Auch heute führt eine Studiengruppe Tests an den Brennstäben durch. Die Teilchen bewegen sich dabei schneller als das Licht im lokalen Medium. Das entsprechende akustische Phänomen in der Luft wäre Überschallgeschwindigkeit, es gäbe einen Knall zu hören. Im Wasser ist blaues Licht, das sogenannte Tscherenkow-Leuchten, zu sehen.

Foto: Michael Matzenberger/derStandard.at

In einem abgetrennten Labor werden die Materialproben wissenschaftlich ausgewertet.

Wegen des hier erarbeiteten Know-hows und weil der Forschungsreaktor die nächstgelegene Nuklearanlage zum Hauptsitz der Atomenergiebehörde IAEO in der Wiener UNO-City ist, genieße das Atominstitut international eine besondere Stellung, sagt Musilek. Unter anderem werden am Triga Mark-II jene Inspektoren ausgebildet, die später Kernkraftwerke kontrollieren sollen - auf UN-Mandat auch im Iran, wenn dieser es zulässt.

Foto: Michael Matzenberger/derStandard.at

Musilek ist sich der Vorbehalte gegenüber der Atomkraft in der Bevölkerung bewusst. "Österreich ist anti-nuklear, das ist klar. Aber man kann nur dann fundiert anti-nuklear sein, wenn man das nötige Hintergrundwissen hat. Wir haben es und sollten es bewahren."

Sicher liege in der Kernenergie mehr Risiko als in einem Windrad oder einer Solaranlage, räumt er ein: "Aber es ist trotzdem noch minimal. Wir versuchen, der Bevölkerung die Panik zu nehmen und zu vermitteln, dass Radioaktivität ein natürliches Phänomen ist, das uns als Hintergrundstrahlung immer begleitet."

Foto: Michael Matzenberger/derStandard.at

Aus der Energie, die bei den Experimenten entsteht, wird kein Atomstrom gewonnen. Das auf die Volksbefragung über Zwentendorf 1978 zurückgehende "Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich" verbietet es.

Die am Forschungsreaktor entstehende Wärme wird in den Donaukanal abgeleitet, der knapp neben dem Atominstitut vorbeifließt. "Für die Umwandlung in Strom ist der Reaktor auch gar nicht gebaut. Bei der Größenordnung von 250 Kilowatt wäre das heutzutage nicht einmal ein schwaches Auto", sagt Musilek.

Foto: Michael Matzenberger/derStandard.at

Rund um den Reaktor stehen, liegen und hängen vielfältige Geräte, Kabel und Werkzeuge. Für verschiedene Projekte werden hier auch Messinstrumente und Versuchsanordnungen von Grund auf konzipiert und händisch zusammengesetzt. Solche Konstruktionen werden häufig auch in die weite Welt geschickt, zuletzt etwa nach Vietnam.

Foto: Michael Matzenberger/derStandard.at

Am Atominstitut wird aber nicht nur am Reaktor geforscht. Stephan Schneider aus der Abteilung Atomphysik und Quantenoptik zeigt, wie Laser durch komplexe Parcours aus Linsen und Spiegeln geschickt werden. An den Testaufbauten wird mit ultrakalten Atomen und hybriden Quantensystemen gearbeitet.

Foto: Michael Matzenberger/derStandard.at

Ein letzter Blick auf das Dosimeter, ehe ich das zwischen Autobahn und Kleingartensiedlung gelegene Atominstitut verlasse: null Mikrosievert. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 16.2.2012)

Foto: Michael Matzenberger/derStandard.at