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Kulturrisse
, herausgegeben von der IG Kultur Österreich, erscheint mindestens vier mal im Jahr und versteht sich als Zeitschrift für radikaldemokratische Kulturpolitik. In unregelmäßiger Folge erscheinen auf derStandard.at/Kultur ausgewählte "Textspenden".

Das Heft Nr. 04/2011 titelt mit "Antiziganismus: Kontinuitäten und Strukturen". Bestellungen im Büro der IG Kultur Österreich oder per e-Mail unter office@igkultur.at, Einzelpreis: 6,- EUR, Jahresabo: 22,- (Stud. 17,-)

Cover: Kulturrisse

Crowdfunding ist hip. In Zeiten schwindender Kulturbudgets und einem zunehmenden Verschwimmen der Bereiche Kunst und Kreativwirtschaft ist ein Instrument, das sowohl zusätzliche Mittel als auch Öffentlichkeit in Aussicht stellt, mehr als willkommen. Zumal es ja auch ganz einfach funktioniert: (Kunst- und Kultur-)Projekte werden über Kleinstbeträge finanziert, die per Mausklick direkt überwiesen werden können. Eines der bekanntesten Projekte ist das soziale Netzwerk Diaspora, dessen Entwicklungskosten von bisher über 200.000 US-Dollar von fast 6.500 Unterstützer_innen getragen wurden. (1) Auch aus Europa werden ähnliche Jubelmeldungen laut, allen voran das Projekt Hartz IV-Wohnung, das sogar über Ziel hinausgeschossen ist und 5.200 Euro von den benötigten 3.000 Euro über die Plattform startnext lukrieren konnte.

Um ein Projekt mittels Crowdfunding (teil-)finanzieren zu können, braucht es einen Antrag in Form einer öffentlichkeitswirksamen Projektpräsentation und in vielen Fällen bereits Unterstützer_innen, die mitgebracht werden müssen, damit das Projekt überhaupt Mittel einwerben kann. Die Plattform startnext, die mittlerweile auch in Österreich operiert, hat hier einen klaren Schlüssel erstellt, der in Abstufungen zehn Unterstützer_innen für eine Förderung bis 500 Euro bis 100 Personen für Förderungen über 7.501 Euro verlangen. (2) Die bisherige Praxis zeigt, dass kleine Projekte, deren Urheber_innen eine hohe digitale Vernetzung und Kommunikationsfreude aufweisen, die größten Chancen auf Finanzierung haben. Im Gegensatz zu einem Projektantrag bzw. einem Businessplan für kommerzielle Vorhaben, ist eine Projektpräsentation auf einer Crowdfunding-Plattform auch immer nach außen gerichtet, das heißt ein Instrument der Öffentlichkeitsarbeit. Crowdfunding ist eine Mischung aus Finanzierung und Bewerbung.

Zwischen Marketing und Finanzierung

Diese Doppelfunktion wird von den Betreiber_innen der Plattformen durchaus positiv als frühe Einbindung von Konsumierenden bzw. Rezipient_innen gesehen, was nun a priori auch durchaus erfreulich, wenngleich auch weniger revolutionär als angenommen ist. Kulturelle und insbesondere künstlerische Produktion richtet sich immer an Öffentlichkeit(-en), die vermeintliche Gleichgültigkeit, die Künstler_innen hier oft unterstellt wird, ist eher auf alte Klischees zurückzuführen als auf Arbeitsrealitäten: Niemand arbeitet bewusst für die Schublade.

Hier gilt es vielmehr, holzschnittartige Voreingenommenheiten zu überwinden und genauer hinzuschauen, warum in vielen Fällen vielleicht weniger Publikum bzw. keine Konsument_innen gefunden werden können, um so den Fehler zu vermeiden, mit Marketingmaßnahmen gegen strukturelle Bedingungen anzulaufen und hier auch wieder zwangsläufig zu scheitern. Und wenn ein Finanzierungsinstrument gleichzeitig Werbemaßnahme ist, so sind auch die Kosten einzurechnen, die anlaufen, damit das Projekt überhaupt erst auf einer Crowdfunding-Plattform veröffentlicht wird - ein Präsentationsvideo, verschiedene "Dankeschöns", die bei gelungener Finanzierung je nach Beitragshöhe an die Unterstützer_innen gegeben werden (hier handelt es sich in den meisten Fällen um Marketing Give-aways wie T-Shirts, Plakate, aber auch um Nutzungsrechte etc.). Da Crowdfunding nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip funktioniert, sind diese Vorleistungen im schlimmsten Fall verloren (bei Nichterreichung der angestrebten Finanzierung werden die Beträge rücküberwiesen). Angesichts der Tatsache, dass z. B. startnext zurzeit eine Finanzierungsquote von 40 Prozent aufweist, ist das Risiko auch hier hoch und muss gegen den Aufwand abgewogen werden. Dem Enthusiasmus scheinen hier Grenzen gesetzt.

Unterscheidung Kunst und Kreativwirtschaft

Ein Grundproblem innerhalb dieser Debatte ist die Vermischung von Kunst und Kreativwirtschaft: Auch wenn es sich in beiden Fällen um "Content" handelt, der auf einer intellektuellen Leistung ("Kreativität") beruht, und auch wenn in der Praxis Personen mitunter wechselweise in beiden Bereichen agieren, so bewegen sich doch beide Phänomene in einem jeweils anderen ökonomischen Umfeld: Da für Kunst in den meisten Fällen (den Unikatenmarkt ausgenommen) kein effizienter Preis über den Markt erzielt werden kann, muss auf andere Weise finanziert werden, meist durch die öffentliche Hand mit Subventionen.

Natürlich können diese Mittel auch von privater Seite her kommen, dies jedoch wirft wiederum demokratiepolitische Fragen auf: Wenn Kunst und Kultur von allgemeiner gesellschaftlicher Bedeutung sind, so erscheint es mindestens problematisch, wenn die Realisierung von Projekten in diesem Bereich von privaten Präferenzen abhängt - auch dann, wenn es sich nicht um die Präferenzen eines wirtschaftlich starken Akteurs, sondern vieler kleiner Akteur_innen handelt. Im ersten Fall wird diejenige Kunst finanziert, die den Vermögenden gefällt, im zweiten Fall häufig diejenige, die sich am besten vernetzen kann. Beide Förderkriterien sind wenig überzeugend. Zusätzlich sind Zweifel an der Effektivität des Instruments "Crowdfunding" im künstlerischen Bereich angebracht: Wenn sich kein genügend großes Publikum zur Eigenfinanzierung einer künstlerischen Produktion findet, so ist es auch unwahrscheinlich, dass sich zum gleichen Zweck genügend Kleinmäzene finden. Bleibt natürlich das Argument, dass Crowdfunding auch dem Marketing dient. Doch häufig sind es weniger fehlende Marketingmaßnahmen, die den Weg von Kunstproduktionen zum Publikum erschweren, sondern wenig durchdachte Fördersysteme, die Anreize setzen, die einander aufheben. Oft wird rein produktionsorientiert gefördert und der Vertrieb zu wenig beachtet. Ein verschärfter Einsatz von Werbemaßnahmen wird hier nur wenig ändern, da gilt es vor allem, Förderstrukturen systematisch zu untersuchen.

Produkte und Dienstleistungen aus dem Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft unterliegen anderen Spielregeln, und hier kann es über den Markt zu einer effizienten Lösung kommen, wobei in vielen Fällen eine Anschubfinanzierung vonnöten ist. In diesem Bereich kann Crowdfunding als interessantes Instrument zur Markteinführung gesehen werden - mit allem unternehmerischen Risiko, das damit einhergeht. Wiederum demokratiepolitisch problematisch wird es jedoch, wenn dieses Risiko von der öffentlichen Hand übernommen wird.

Crowdfunding und die öffentliche Hand: Beispiel Hamburg

Eine Verschränkung von Crowdfunding mit öffentlicher Subventionsvergabe wird gerade in dem Pilotprojekt ausprobiert, das die Hamburg Kreativ Gesellschaft, die Förderagentur für Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt Hamburg, gemeinsam mit startnext seit Herbst 2011 durchführt: Auf der Plattform nordstarter.org können Projekte präsentiert werden und für Crowdfunding werben. Die städtische Kreativgesellschaft unterstützt die BewerberInnen durch Beratung etc. und besonders durch Öffentlichkeit. Besonders im letzten Punkt laufen viele Interessen zusammen: Sowohl die Kreativgesellschaft als ausgelagerte Förderstelle für Kultur- und Kreativwirtschaft baut einen Ruf als innovative Agentur auf, indem sie ein Förderinstrument unterstützt, das sich gerade gesteigerter Aufmerksamkeit erfreut. Startnext erfährt eine Nobilitierung als Partnerin der öffentlichen Hand und erhält zudem einen Auftrag.

Nordstarter funktioniert nach denselben Prinzipien wie startnext - bisher mit der einzigen Ausnahme, dass ein Preis von 2.500 Euro ausgeschrieben wurde, der dem Projekt zusteht, das an einem bestimmten Stichtag die meisten Fans aufweisen kann. Während der Abstimmungszeit von einem Monat haben ca. 1.800 Personen über zwölf eingereichte Projekte (die noch nicht ausfinanziert sind) abgestimmt. Das Siegerprojekt wurde die Postproduktion eines Spielfilmes, der 2012 auf der Berlinale gezeigt werden soll. Ob der Crowdfunding-Mechanismus noch durch weitere öffentlichen Gelder ergänzt werden soll - etwa durch einen bestimmten Prozentsatz der eingeworbenen Summen, den die Kreativgesellschaft zuschießt oder durch andere Instrumente, wie den erwähnten Preis -, steht noch offen.

Wenn Förderungen der öffentlichen Hand von der Spendenfreudigkeit von Fans abhängig gemacht werden, wirft das verschiedene Fragen auf. Aus rein ökonomischer Sicht ist zu diskutieren, ob die Vergabe von Wirtschaftsförderungen nicht doch auch an die Vorlage eines schlüssigen wirtschaftlichen Konzeptes gebunden werden sollte, denn nur an emotionsgeleitete Mausklicks nach Ansicht eines Werbevideos. Aus demokratiepolitischer Sicht ist festzuhalten, dass hier Steuergelder nach den Präferenzen einiger Privatpersonen vergeben werden, die zu dieser Machtstellung in keiner Weise demokratisch legitimiert sind. Entscheidungen über öffentliche Finanzierungen werden nicht von der Allgemeinheit der Bürger_innen über die Wahl ihrer Repräsentant_innen getroffen, sondern von einer Minderheit, die sich selbst finanziell beteiligt. Mitbestimmung wird also an Mitfinanzierung gebunden. Dieses System hat grundlegende Ähnlichkeiten mit der steuerlichen Abschreibbarkeit von bestimmten Ausgaben: In beiden Fällen wird Steuergeld verwendet - im Hamburger Beispiel durch öffentliche Ausgaben, bei Steuerabschreibungen durch reduzierte öffentliche Einnahmen -, ohne dass die gewählten Volksvertreter_innen Einfluss auf die unterstützten Maßnahmen nehmen können.

Per definitionem sind an Crowdfunding-Finanzierungen mehr Personen beteiligt als an steuerlich absetzbaren Spenden Einzelner. Doch die Annahme, dass mehr Partizipation mehr Demokratie bedeutet, beruht auf einer Verwechslung. Demokratie besteht nicht in der Teilnahme einiger oder sogar vieler an Entscheidungen, sondern in der - mindestens potenziellen - Beteiligung aller Betroffenen, im Konkreten also aller Steuerzahler_innen, die zugleich diejenigen sind, denen die finanzierten Projekte in irgendeiner Form zugutekommen sollten. Politische Systeme, die auf der Beteiligung einer Gruppe von Menschen beruhen, nennt man hingegen Oligarchien.

Fußnoten

(1) www.kickstarter.com/projects/196017994/diaspora-the-personally-controlled-do-it-all-distr, 30.11.2011
(2) www.startnext.de/Blog/Blog-Detailseite/b/Qualitaetsmanagement-bei-Projekten-312, 30.11.2011

(Elisabeth Mayerhofer und Monika Mokre, Kulturrisse - Zeitschrift für radikaldemokratische Kulturpolitik, Heft 4/2011, in Kooperation mit derStandard.at/Kultur)