Visionäre Hochhausbauten in Singapur: Woha Entwurf (Duxton Plain) für Singapur, ...

Rendering: Woha

... die Newton Suites in Singapur (aus 2007).

Foto: Patrick Bingham-Hall

Ökologisch, innovativ, spektakulär: die Woha-Architekten Mun Summ Wong (rechts) und Richard Hassell (links).

Foto: Woha

Wer hat's erfunden? Nein, kein Schweizer, ein Franzose war's. Patrick Blanc kreierte 2001 den ersten Vertical Garden, der die Fassade des Hotels Pershing Hall im achten Arrondissement von Paris, unweit der Champs-Élysées, hinunterkroch. 2005 wiederholte der Botaniker dies in der Seine-Stadt am Musée Quai Branly; und 2007 inszenierte er eine Ausstellung, die er treffend Folies Végétales nannte.

Und wer sich die drei ausgezeichneten Projekte der diesjährigen Sky-scraper Competition betrachtet, der sieht ebensolche "Folies": den LO2P Recycling Skyscraper des Ateliers CMJN (Julien Combes, Gael Brule) ein durch und durch grünes Windturbinenhochhaus mit Höhengewächshäusern und Mineralbädern, einen horizontal arrondierten Sonnenenergie und Regenwasser speichernden Wohnkomplex (Yoann Mescam, Paul-Eric und Xavier Schirr-Bonnan) und eine Neuinterpretation des Hoover-Damms durch den jungen Engländer Yheu-Shen Chua. Der will den Mammutkraftwerksbau koppeln mit biomorph verschlungenen Ketten mit Appartements, aus denen man eine spektakulär unverstellte Aussicht auf einen Wasserfall hätte - würde es denn realisiert werden.

Grüne Städte auf Stelzen

Was bei anderen, spektakulären Neuinterpretationen des Bautypus Hochhaus der Fall ist - inklusive ganz handgreiflicher ökologischer Innovationen. Diese stammen überwiegend vom Singapurer Büro Woha, das in den letzten vier Jahren mit Architekturpreisen, vom Aga Khan Award über den Green Good Design Award bis zum diesjährigen Riba International Award, in geradezu berauschender Fülle überschüttet wurden. Wong Mun Summ, 1962 in Singapur geboren, und der aus dem australischen Perth gebürtige vier Jahre jüngere Richard Hassell hüllen ihre hochgestapelten Bauten am liebsten in vegetabile Ganzkörperpelze, kreieren grüne Städte auf Stelzen.

Beim Megahotel Parkroyal on Pickering beispielsweise sind die Grünflächen im Gebäude zweimal so groß wie das eigentliche Grundstück und somit genauso groß wie der benachbarte Hong-Lim-Park. Dies gelingt, indem die Architekten einen die ersten vier Geschoße enthaltenden Sockel entwerfen, aus dem vier gläserne aufgeständerte Kuben nach oben wachsen, unter und zwischen denen sich sogenannte Sky Gardens, Wasserflächen und Schwimmbäder erstrecken, Bäume gepflanzt sind, Pflanzen und Büsche und tropische Kletterpflanzen sich die Balkone hinab- und hinaufranken. Wohas Projekt Oasia Downtown in Singapur, ein Dreißiggeschoßer, der neben einem Hotel fast ausschließlich kleinere und kleine Büro- und Home-Office-Einheiten enthält und deren Fertigstellung für Frühjahr 2014 vorgesehen ist, beschreibt Richard Hassell mit den erst einmal perplex machenden Worten, dass "die Landschaft die Architektur bedeckt".

Pergola für Urwaldriesen

Ergebnis ist nicht nur ein durchlässiges, 'pelziges' und von vielen Aussichtsterrassen und Sky Gardens perforiertes Gebäude in Singapurs zentralem Businessdistrikt - auf das Top, den 29. Stock, wird ein Spaliergarten kommen, ein Swimmingpool und eine Bar -, sondern etwas, das, wie der Australier meint, einer Pergola erstaunlich nahekomme. Einer Pergola für Urwaldriesen.

Für Wohas zehn Wohntürme und einen Büroturm umfassende, in einen Park eingebettete Hochhausanlage, mit deren Bau im indischen Wadala, Mumbai, vor wenigen Wochen begonnen wurde, standen ganz am Anfang der Entwurfsarbeit Skizzen und Studien über: Luftströmungen, Begrünungen und den Zugang zu den Aussichtsterrassen und Plattformen. Denn jedes Passivenergiegebäude von Woha, angefangen mit dem Wolkenkratzer Moulmein Rise in Singapur (in dem die Architekten selbst wohnen) kommt vollständig ohne Klimaanlage aus. Hat natürliche, auf die Windverhältnisse exakt abgestimmte Belüftung.

Jedes Gebäude verfügt über Solarenergie und Regenwasseraufbereitung. Wohnungen sind nach allen Richtungen hin durch Glasflächen geöffnet und haben häufig geräumige Balkone. 50 Prozent der Dächer sind begrünt. Und oft werden sie, das beste Beispiel hierfür ist das aktuell im Bau befindliche Skyvilleat Dawson, ein öffentliches Wohnungsbauprojekt in Singapur, in Fertigteilbauweise errichtet. So wird effizient Abfallvermeidung betrieben. Und die internen Gemeinschaftszonen dieser vertikalen grünen Stadt sind Landschaftsparks der gehobenen Kategorie - und weitaus mehr als nur Dekor oder Hängende Gärten.

Das Konzept der "New City"

Das Prinzip modularer Hängender Gärten ist so neu ja nicht. Es wurde allerdings in den letzten vier Jahrzehnten zumeist mit minderem Erfolg umgesetzt. Vor allem Bauten des Metabolismus der Sechzigerjahre vermitteln heute, sofern sie nicht bereits bis zur Unkenntlichkeit um- und rückgebaut wurden, ein überwiegend tristes Bild. Kisho Kurosawas 40 Jahre alter Nakagin Capsule Tower im Tokioter Stadtteil Ginza etwa, dem Bau aus gestapelten Modulen droht demnächst wohl der Abriss. Das Prinzip flexiblen Kreierens vertikal geschichteter Städte blieb folgenlos.

Das Prinzip der "Vertikalen Stadt" ist nicht neu, sondern ein Typus, den die klassische Hochmoderne vorantrieb. Der Architekt Ludwig Karl Hilberseimer prägte diese Formel 1924. Und es ist kein Zufall, dass er wenige Jahre später am Dessauer Bauhaus lehrte und 1938 Ludwig Mies van der Rohe nach Chicago folgte, wo Hilberseimer fast 30 Jahre lang Städtebau lehrte. Sein Konzept einer "New City", die gegen sämtliche vom Menschen vorstellbare Katastrophen einerseits abgesichert ist und andererseits auf eine Durchdringung von Gebautem und Natur setzt, arbeitete er seit den frühen 1940er-Jahren aus.

Ein Teil wurde tatsächlich in die Praxis überführt und gebaut, im Lafayette Park zu Detroit. Doch kaum mehr als ein hochmodernistisches Exerzitium sind die schlanken, eleganten Wohnscheiben aus Stahlbeton und Glas - von dem für die Zukunft kaum inspirierende Impulse ausgingen; vielmehr war es eine Wegmarke des International Style hin zu einer zonierten Stadt aus schematisierten Wohnungsrastern. Die in ihrer eleganten Abkopplung von der Umgebung zugleich das vorkritische Zeitalter ungebremsten Energieverbrauchs und scheinbar unaufhaltsam voranschreitenden Wohlstands reflektieren.

Masterplan für Singapur 2050

Vertikale Stadt und gestapelte Gärten - MRVDV aus Rotterdam, die auf der Expo 2000 damit für Aufsehen sorgt, baut derzeit, auch in Indien, ein "Vertical Village" - nahmen Woha beim 2009 vorgelegten Masterplan für Singapur 2050 wörtlich. Der ansteigende Meeresspiegel und die Reduktion des "ökologischen Fußabdrucks" der dann noch von mehr Menschen bewohnten Megalopole standen im Vordergrund.

War die Vision romantisch? Schließlich nennt Hassell den Woha-Stil so. Andere meinen eher: weich und zottelig. Passt ihr tropisches Grün in ein architektonisch so untropisches und besonders im Winter unwirtliches Europa, nach Frankfurt gar?

Offensichtlich. Angeblich sollen schon vor Ausstellungseröffnung mehrere hessische Projektdevelopper bei Wong Mun Summ und Richard Hassell angeklopft haben, um mit ihnen über Projekte zu reden. Vielleicht wird in einigen Jahren in der Banken- und Börsenmetropole am Main unter "Greenback" nicht mehr nur der Dollarschein verstanden - sondern bepflanzte, grüne Hochhäuser der Marke Woha, die Zukunft atmen. (Alexander Kluy, DER STANDARD, Album, 7./8.1.2012)