Wer gegen sein Volk schießen lässt, verliert jede Legitimität. Alle Hoffnungen, die auf Syriens anfangs durchaus populären Präsidenten Bashar al-Assad lagen, sind zunichte. Wie aber ein möglichst friedlicher Macht- und Systemwechsel zu bewerkstelligen wäre - darüber rätselt die Welt.

In drei Punkten herrschte bis vor kurzem bei den revolutionären und oppositionellen Kräften Syriens Konsens. Erstens: Absage an eine Militärintervention. Zweitens: Gewaltfreiheit und Ablehnung des Waffengebrauchs seitens der Revolution. Drittens: Nein zur Konfessionalisierung beziehungsweise Ethnisierung des Konfliktes. Der Systemwechsel soll in gleichberechtigter Weise von allen Bevölkerungsgruppen getragen sein - Sunniten, Alawiten, Christen, Drusen, Kurden, Assyrern und anderen.

Gefährlich ist, dass zuletzt Stimmen aufkommen, die doch eine Außenintervention rechtfertigen, ja sogar verlangen. Auch die Gewaltlosigkeit gerät ins Wanken, insbesondere nachdem sich Deserteure, jetzt Teil der "Syrischen Freien Armee", zu Angriffen auf die syrische Armee bekennen, die nicht unbedingt dem Schutz der Bevölkerung dienten.

Zudem gibt es Stimmen, die Hass zwischen Schiiten und Sunniten schüren und die primär nicht eine syrische, sondern eine antiiranische Agenda haben.

Eine Herausforderung besteht weiters darin, dass sich die sogenannte schweigende Mehrheit, insbesondere in Damaskus und Aleppo, noch nicht der Protestbewegung angeschlossen hat. Der Hauptgrund liegt darin, dass die Opposition unter fehlenden Führungsfiguren und Kommunikatoren leidet, die in Syrien ihre Wurzeln haben, international agieren können und gesellschaftspolitische Visionen samt gangbaren Wegen zu deren Verwirklichung formulieren.

Ob der in Istanbul gegründete Nationalrat diese Lücke schließen kann, ist mehr als fraglich. Dazu kommt, dass das Regime noch immer über eine Mobilisierungskraft und nicht zu unterschätzende Anhängerschaft verfügt.

Das Wichtigste, was die Weltgemeinschaft zurzeit machen kann und muss, ist der syrischen Opposition klar und deutlich zu sagen, dass es einen Natoangriff auf Syrien nicht geben wird. Zweideutige Formulierungen aus den USA oder aus Frankreich bringen die syrischen Kräfte durcheinander. Schon jetzt reden einige Oppositionelle im Ausland so, als ob die Nato nur noch auf ihren Befehl warten würde, um einzugreifen.

Hinfällig ist die Frage, ob das Regime überhaupt abdanken müsse. Heute geht es nur mehr um das Wie und Wann - und um die Sorge, wie viele Menschen noch ihr Leben lassen müssen.

Das Regime redet von einem notwendigen "nationalen Dialog"; die Opposition will nur über "Verhandlungen" diskutieren. Wie immer man es nennen will: Gründliche Reformen bedeuten das Ende der Ära der Personen- und Familienmacht der Assads. Russland könnte hier international positiv wirken, wenn es die Einleitung einer Übergangsphase zum Beispiel unter Farouk al-Sharaa, dem jetzigen Vizepräsidenten, unterstützen würde. (Tarafa Baghajati/DER STANDARD Printausgabe, 5.1.2012)