Wien - Literatur ist nicht das Leben, sie ist nicht einmal Beschreibung des Lebens. Sie kann viel mehr sein, eine zusätzliche Welt, in der es nicht um die Dinge an sich geht, sondern darum, was es von diesen Dingen zu sagen gibt. Es geht um Form und Reflexion. Was eine Form findet, wir wissen es aus Märchen, verliert seine Gefährdung.

Eine Geschichte trägt daher immer auch die Besänftigung der Welt in sich. Vielleicht wird man deshalb zum Leser - oder zum Autor. "Aktuelle Probleme bei der Erfindung Amerikas" lautete der Titel einer zweiteiligen "Wiener Vorlesung zur Literatur" (eine Koproduktion der Alten Schmiede und des Instituts für Germanistik der Uni Wien), die der Schriftsteller Thomas Hettche hielt. Hettche, der die Voraussetzungen des Schreibens hinterfragt und weiterentwickelt, besticht in seinen Büchern durch Experimentierfreudigkeit.

Verblüffend war auch seine Vorlesung, denn er erschlug das Publikum nicht mit Theorie, sondern verpackte seine Poetik (um nichts anderes ging es) in eine Geschichte. So konnte er - quasi live - vorführen, wie ein Text entsteht und wie Realität in die Fiktion einfließt und dort verändert wird. Ausgangspunkt seiner "embeded narration" war New York und Daphne Abdela, die 1997 einen Mann ermordete und im Central Park versteckte.

Doch der reale Ort und die reale Person waren nur die Folien, auf welche Hettche seine Imaginationen projizierte und von denen aus er die flüchtige "Tausch- und Schmuggelware" seiner Geschichte verschiffte. All die Termini wie "Rolle des Autors", die "Unmöglichkeit des Erzählens in der Moderne", die in der Germanistik kompliziert klingen, kamen so leicht und schlüssig, gleichsam "en passant" zur Sprache. Erfrischend. (Stefan Gmünder/DER STANDARD; Printausgabe, 7.06.2003)