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Dirigent Mariss Jansons legte sich auch bei nur sympathischen Stücken gehörig ins Zeug: Die Wiener Philharmoniker antworteten mit herzhaftem Spiel.

Foto: AP/Ronald Zak

Wien - So haben es die Wiener Philharmoniker also doch geschafft, einmal auch während des Neujahrskonzertes für den finalen Zugabenblock zu proben: Gleich zu Beginn kredenzten sie mit Dirigent Mariss Jansons den Vaterländischen Marsch, in dem der Radetzky-Marsch (plus Kaiserhymne) resch herumtänzelt. Und in Johann Strauß' Rathaus-Ball-Tänzen schwebte danach gleich auch noch der liebe Donauwalzer selig umher.

Dass diese zitatenfreudige Eröffnung auf zu wenig Proben für diesen philharmonischen Gruß an das Jahr 2012 zurückzuführen sei, wäre allerdings ein beschwipster Schluss. Wie man Mariss Jansons kennt, ging dem Ganzen gründlichste Vorarbeit voraus - und das hörte man schließlich: Hier war, was die Präsenz einzelner Klanggruppen anbelangt, keine Schwäche zu erkennen. Es herrschte vom ersten bis zum letzten Ton eine aus Konzentration erwachsende Kompaktheit vor; jedwede Note, jede Passage transportierte bemerkenswerte Dringlichkeit.

Sehr konzentriert

Nichts wurde also beiläufig erspielt oder in Unscheinbarkeit gehüllt. Zu erspüren war Jansons' akribische Handschrift, der sich so elegant wie impulsiv ins Zeug legte. Nicht auszudenken, welche Subtilitäten da noch das Vormittagslicht der Welt erblickt hätten, so das auserwählte Repertoire mehr melancholische Walzertiefe zur dirigentischen Gestaltung angeboten hätte. Allein, es dominierten eher fetzige Stücke, in denen sich Daseinsfreude stampfig Gehör verschaffte.

Große Eleganz

Auch hier natürlich nichts Derbes: Jansons schafft es jederzeit, selbstverständliche Eleganz zu erzeugen, auch in Stücken wie Strauß' Entweder-oder!-Polka Akzente zu setzen und Phrasierungspointen zu fordern (Sperl-Galopp), wo andere Kollegen die Sache womöglich einfach laufen ließen. Es herrscht also jederzeit große Ausgewogenheit bei Klang und Ausdruck.

Kommt jedoch bei den Miniaturen musikalische Substanz (abseits des rein Lustig-Maschinellen) hinzu, wird das wahre Ausmaß an Gestaltungs-Intelligenz und -Intensität offenbar: Hans Christian Lumbyes Kopenhagener-Eisenbahn-Dampf-Galopp erwies sich da als geeignete Vorlage, wie auch Eduard Strauß' furios umgesetzte Carmen-Quadrille. Und bei Tschaikowskys Walzer aus Dornröschen glühte der Streichersound förmlich.

Schließlich Strauß' Delirien-Walzer: Dieses Stück wurde dramatisch aufgeladen, man zeigte allerdings, dass dessen Charakter auch süßlich-selige Facetten in sich barg, ohne dass sich jedoch ein Stück Zucker zu viel in den Walzer-Kaffee verirrte. Andererseits: Hier - wie dann auch beim Donauwalzer - konnte man etwas von jener Fragilität, Doppelbödigkeit und schmerzerfüllten Sehnsucht vermissen, wie sie Georges Prêtre einst herbeigezaubert hatte.

Die Ausnahme - Pizzicato-Polka - soll keinesfalls unterschlagen werden. Bei ihr lieferte man ein Meisterstück an subtiler Sanftheit und Intimität ab. Zu den Scherzen: Bei Joseph Strauß' Feuerfest!-Polka dirigierte Jansons (auch die lieblichen Wiener Sängerknaben) und schlug mit zwei Hämmerchen. Und bei der Tik-Tak-Polka ließ er sich von Geiger Tibor Kovác mit einer riesigen Uhr ermahnen, dass es nun langsam Zeit wurde, dem Auditorium (wie der TV-Welt) mit den Philharmonikern alles Gute für das junge Jahr zu wünschen, was Jansons auch kurz und knapp tat. Später sollte er die an ihn gereichten Blumen schnell an Konzertmeister Rainer Honeck weitergeben und beim Radetzky-Marsch alle Klatschbedürfnisse befriedigen. Ohne dass sich jedoch Erschöpfung einstellte. Es gab hernach großen Jubel.

Ach, die TV-Bilder liefernde Camcat: Diese technische Neuerung schwebte über allen Anwesenden (diagonal zwischen den Lustern) und weckte das Bedürfnis, die Erfinder mögen für 2013 eine unsichtbare Variante entwickeln. Sollte dies unmöglich sein, könnte der Camcat beim nächsten Neujahrskonzert zumindest ein Musikstück gewidmet werden, etwa der Hummelflug. Ist ja zu diesem Anlass nie gespielt worden und sicher besser als so manche dürftige Polka. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD - Printausgabe, 2. Jänner 2012)