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Der Palazzo Vecchio in Florenz mit dem Vasari-Gemälde "Schlacht von Marciano", hinter dem sich ein da Vinci verstecken soll.

Foto: Reuters

Rubens' Kopiezeichnung der "Schlacht von Anghiari" (Ausschnitt)

Foto: Louvre

Es ist ein Rätsel, das Kunsthistoriker und Experten seit Jahrzehnten bewegt: Was ist mit Leonardo da Vincis berühmtem Wandgemälde Die Schlacht von Anghiari geschehen?

Wurde das unvollendete Fresko im Palazzo Vecchio von Florenz zerstört? Hat der Medici-Hofmaler Giorgio Vasari das Werk bei der Neugestaltung des prächtigen Salone der Cinquecento einfach übermalt? Oder befindet es sich auf einer Mauer hinter Vasaris bewegter Darstellung der Schlacht von Marciano?

Um das Rätsel endlich zu lösen, heckte Leonardo-Experte Maurizio Seracini einen heftig umstrittenen Plan aus. Durch 14 millimetergroße Bohrlöcher in Vasaris Fresko sollen Mikrosonden eingeführt werden, um festzustellen, ob sich dahinter Reste des legendären Wandgemäldes befinden. Schließlich genehmigte die zuständige Konservatorin Cristina Acidini lediglich sechs Bohrlöcher. Denkmalamt, Kulturministerium und Bürgermeister stimmten zu. Umgehend formierten sich die Gegner des Vorhabens.

Mehr als 100 prominente Kunsthistoriker und Museumfachleute aus aller Welt forderten, das "verrückte Projekt sofort zu stoppen". Die Unterzeichner halten es für "absolut undenkbar", dass Vasari ein Wandgemälde Leonardos bewusst übermalt haben könnte. "Auch wenn Reste des Freskos auftauchen sollten, könnte die von ihm bemalte Wand auf keinen Fall entfernt werden", so der namhafte Kunsthistoriker Tommaso Montanari.

Die für den Schutz der Kulturgüter zuständige Organisation Italia Nostra ging einen Schritt weiter und erstattete bei der Staatsanwaltschaft Florenz Anzeige wegen Beschädigung von Kunstwerken. Das Gerüst müsse sofort beschlagnahmt, das von National Geografic mit 250.000 Euro unterstützte Projekt eingestellt werden.

"Wer suchet, der findet"

Staatsanwalt Giuseppe Quattrocchi leitete Ermittlungen ein und entsandte Carabinieri an den Tatort. Er sah sich jedoch außerstande, einen Expertenkrieg zu entscheiden, in dem sich historische Wahrheit, Mythen und Legenden komplex verflechten.

Warum hat Vasari in seinem Fresko eine Fahne mit der kaum erkennbaren, rätselhaften Andeutung "cerca trova" (Wer suchet, der findet) versehen? Wohin sind Leonardos Entwürfe für das Bild verschwunden, die Rubens so begeisterten, dass er sie kopierte? Wo befindet sich das Fresko wirklich, das ab 1504 bis zum Umbau des Saals für ein halbes Jahrhundert sichtbar war?

Als sicher gilt, dass Leonardo da Vinci die Arbeit an dem Gemälde wegen technischer Mängel einstellte. Die Freskotechnik war dem Künstler zuwider, weil sie zu rascher Arbeit zwang. Nach der ersten Sondierung wartete Professor Seracini kurz vor Weihnachten mit einer Meldung auf, die Dan-Brown-Anhänger begeisterte. Hinter der von Vasari bemalten Mauer habe die Sonde einen Hohlraum von zwei Zentimetern festgestellt. Befindet sich dahinter die ursprüngliche Palastwand mit Leonardos Gemälde?

Ungeduldige Frager wimmelt der in Kalifornien lehrende Professor ab. Erst mehrwöchige Laboranalysen sollen Klarheit bringen. Warum sollte es ausgerechnet einer eilig haben, der Leonardos Geheimnis seit 35 Jahren nachspürt? Ohne Antwort bleibt auch die eigentliche Kernfrage: Was geschieht, wenn hinter Vasaris Fresko tatsächlich Leonardos Wandmalerei zum Vorschein kommen sollte?

Dann dürfte der Krieg zwischen den Kunsthistorikern fast so vehement ausfallen wie die 1440 zwischen Florenz und Mailand geschlagene Schlacht bei Anghiari. Die Mailänder zogen damals den Kürzeren. (Gerhard Mumelter aus Rom / DER STANDARD, Printausgabe, 30.12.2011)